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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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und vorgequollen, die Haut stellenweise von einem wütenden Ausschlag aufgeplatzt. Ihr einstiger Luxuskörper war zu Tode geschunden, und das Wasser hatte ihre Haut bleich und runzlig gemacht.
    Mit Hilfe Mules schleppte Pa die Leiche von Cosey Mo zu den Pappeln rüber. Er blickte nicht auf, und er bemerkte mich nicht – obwohl es mir egal gewesen wäre, so vollkommen betäubt war ich. Ich sah zu, wie Pa ein Loch grub, sie in die Decke hüllte und dann hineinlegte. Das Loch war neben dem Weg, ein wenig auf das Sumpfland zu, aber noch auf sicherem Boden. Er machte es tief, deckte sie dann zu und klopfte den Matsch mit der Schaufel fest. Dann nahm er sein Schnitzmesser und ein kleines Stück Holz, etwa von der Größe eines Kartenstapels, setzte sich auf einen Stein, den er über das Grab gewälzt hatte, und schnitzte etwas in das Holz hinein, das er dann unter den Stein schob. Als er gegangen war, wälzte ich den Stein zur Seite.
     
    C. M O
    R. I. P.
    1943
     
    Nie hatte ich Pa etwas mit so viel Zärtlichkeit und Gefühl tun sehen, als wie er die Hure von Hooper’s Hill begrub.
    Es drängte mich, in die Stadt zurückzugehen. Ich spürte in sämtlichen Knochen, daß sich da etwas zusammenbraute.
XX
    Im Jahre 1940 war Ukulore Valley nach jedermanns Ausdruck eine Musterstadt gewesen. Sie hatte floriert, und ein jeder Bürger nahm am Wohlstand der Gemeinde teil – vorausgesetzt, daß er oder sie dem ukulitischen Glauben anhing und somit als gleichberechtigter Partner in dem primitiven aber soliden genossenschaftlichen System galt, auf welches die Stadt und ihre Umgebung gegründet waren.
    Joseph Ukulore, der Bruder des Propheten Jonas, hatte die Fundamente für das gelegt, was dann viele Jahre nach seinem Tod hinreichend Profit abwarf, eine ganze Stadt drei Jahre lang zu erhalten; doch selbst diese soliden Sicherheiten änderten nichts an Philo Holfes anfänglicher Pflicht als Führer der Ukuliten-Gemeinde in den Regenjahren; diese bestand darin, daß er, unter der Aufsicht von Doc Morrow und Pal Weaverly (dem Inhaber des Schnapsladens neben Wiggams Gemischtwaren; eines der letzten noch übriggebliebenen Privatunternehmen am Ort), die Herabsetzung der allgemeinen monatlichen Zahlung an jeden Gläubigen um 15 Prozent verfügte – eine unvermeidliche Maßnahme, falls die Sekte der Ukuliten als Familie des Herrn zusammenzubleiben wünschte. Drei Monate später war Philo gezwungen, die Zahlungen um weitere 5 Prozent herabzusetzen.
    Mit jeder Minderung des Unterhaltsgeldes ging auch der Umsatz der Geschäfte zurück, zumal die Ukuliten immer weniger geneigt waren, sich aus ihren Häusern in das Wüten des Wetters zu wagen.
    Dennoch wußte am frühen Nachmittag des 19. Mai 1943 so gut wie jeder in Ukulore Valley von Doc Morrows Entdeckung. Die meisten Bürger waren wenig interessiert; andere, namentlich eine Reihe von Frauen, zogen an diesem Tag ihre Nachthemden aus, die ihre gewöhnliche Tracht geworden waren, und legten grobe schwarze Flachskleider und weiße Kittel an, flochten ihre langen losen Locken, rollten sie zusammen und streiften ein weißes Spitzenband darüber.
    Gegen drei Uhr drängten sich etwa fünfzehn Frauen im Schutz von Doc Morrows Veranda, schwer klapperten ihre Schuhe auf den bloßen Brettern. Unter anderen befanden sich in diesem Gedränge die invalide Wilma Eldridge mit ihrer servilen Gefährtin Hilda Baxter, die ständig an den Griffen des Rollstuhls herumrieb; Hulga Vanders – ein xylozephalisches Scheusal mit tiefen mürrischen Furchen im Gesicht und dicken Armen, die sie vor ihrem mächtigen Busen verschränkt hatte; Nena Holfe und Olga Holfe, teure Gattinnen der Brüder; und, an Nenas Arm geklammert, Edith Lamb, eine zittrige Porzellanminiatur, eine Antiquität von dreiundachtzig Jahren: bucklig, blind und blutleer.
    Drei Jahre waren gekommen und gegangen, und jeder einzelne Tag war von Gottes dröhnendem Mißfallen erfüllt gewesen. Der ruß- und aschfarbene Himmel, der Regen, sein unablässiges Geprassel, die Abwesenheit von Sonne und Licht und Wärme, der Schaden für Gebäude und Land, die verwüsteten Felder, das Abnehmen der Bevölkerung, das Zunehmen der Armut – all diese aus Seinem Zorn entspringenden Schrecknisse wurden von der Schar der Gläubigen, die noch im Tale ausharrten, längst nicht mehr in Frage gestellt. Der Regen goß einfach weiter, teilnahmslos ertragen von den langmütigen Ukuliten; doch nicht, ohne seinen Tribut zu fordern.
    Den Frauenzimmern, die da im Pulk auf der

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