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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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wiederfinden …
    Allein kehrte ich zur Hütte zurück, wo ich in ruhlosen Erinnerungen an sie die Nacht verbrachte – an die Zeit, da ihr Gesicht schöner gewesen war als alles, was ich je gesehen hatte.
    Und ich verfluchte mich, daß ich sie verloren hatte.
    Und ich verfluchte mich, daß ich sie noch einmal verloren hatte.
XVIII
    Euchrid saß in den kalten Klöstern der Einsamkeit, die Augen fest zugepreßt. Einem Übermaß an Gefühlen ausgeliefert, ergab er sich voll und ganz dem Düster seines auserwählten Heiligtums: dem Sumpfland.
    Er hörte das schrumpfende Korsett der Kudzu-Ranken am mächtigen Stamm der Zeder scheuern. Er lauschte, und hörte die alten Glieder ächzen, als der Baum vor den mörderisch verstrickten Ranken kapitulierte. Er hörte auch das Harfenspiel der Tarantel, die in ihrem Winkel an den taubeperlten Saiten ihres Netzes zupfte. Ebensowenig entging ihm das Knistern von Laub im hohlen Herzen eines Baumstumpfs. Oder die Knochen und Schnäbel toter Vögel. Das verzweifelte Scharren eines gefangenen Flügels. Das Aufbrechen von Eiern. Brennende Nester. Ein stürzender Klumpen Fell. Eine ausgerupfte Feder. Ein Windstoß. Ein Tröpfeln. Ein Schrillen.
    Nun lauschte er den Geräuschen seines eigenen gefangenen Körpers, dem Bröckeln von Rippen und Rückgrat, dem Zerren seines geprüften Plexus, dem Zischen seiner Eingeweide, dem Stöhnen von Haut und Knochen – denn sein ganzer Leib war gefesselt und auf den bösen Nagel des Daseins gespießt.
    Da verlangte er nach seinem Engel, und fortan erstrahlte alles in einem ultramarinen Licht, das sich ausgoß über alle Hölzer und Hügel, alle Knorren und Knoten und Stümpfe, einem blauen Leuchten, das hinschwemmte über alle Schlupfwinkel und Spalten, Spalten und Sümpfe, alle dunklen und suhligen Senken, alle Brüche und Bauten und Tränken, über alles Lenken und Denken; Euchrids Welt, nur noch Echo und Reim, getaucht in hyazinthenes Licht.
    Der Engel – eine Frau – schwebte auf korallenroten Schwingen vor seinen zitternden Fingerspitzen, und ihre rötliche Robe aus glatter Seide bauschte sich in der hochgefächelten Luft. Die dunklen Zöpfe fielen ihr über die Brüste, welche jetzt anschwollen und unter seiner Berührung aufwogten. Mit leicht geöffneten Lippen beugte sie sich vor, drückte einen betäubenden Kuß auf seinen Mund und füllte seine Hände mit ihren warmen Brüsten – gepackt und gestreichelt in den Krämpfen und Gerinnseln der Liebe.
    Euchrid legte sein Gesicht in die leeren Schalen seiner Hände und wälzte sich auf die Seite, der Wand zu, um tiefer und immer tiefer im Abgrund der Erschöpfung zu versinken.
    Ein sturmgepeitschter Zweig kratzte an seinem Fenster. Euchrid seufzte, dann schlief er ein.
XIX
    In dieser Nacht fand ich wenig Schlaf.
    Sengende Blutungen, jähe Ergüsse, Totenköpfe schwitzten in mein Bettzeug …
    Ich stand früh auf und sah noch, wie Pa Mule losband und, mit seinem Stock in den Regen prügelnd, gesenkten Kopfs den schlammigen Pfad zur Maine Road antrat. Mule zitterte und zuckte neurotisch, so fühllos für die Rute des Alten wie für den Regen. Mich verzehrte der Drang, ihm nachzugehen – es zog mich ihm nach, könnte man sagen –, und dies tat ich denn auch, gedeckt von den Falten des grauen Regens.
    Ich hielt mich seitlich, auf festerem Boden, und plötzlich sah ich meinen Vater am Wegesrand stehenbleiben und Mule anschreien – selbst aus meiner Entfernung konnte ich einen gewissen Nachdruck in seiner Stimme erkennen. Und nachdem er das Tier zum Halt geprügelt hatte, sah ich, wie er seinen Stock hinwarf und, gebannt von dem, was auch immer da vor ihm lag, neben einem Graben am Rand der Pfades in die Hocke ging.
    Ich kletterte weiter, stieg durch den Drahtzaun und spähte durch die Wand aus verfaulten Zuckerrohrblättern, kaum einen Meter von ihm entfernt. Der Graben stand voll Wasser, und darauf trieb ein dünner weißer Arm, wie ein fahlgelber Aal auf einer silbernen löchrigen Decke. Ich sah ihn die Decke rausfischen, ihren aschgrauen Körper aus dem nassen Grab heben und niederlegen – schon steif, wie ich aus der ungraziösen Haltung ihrer Glieder schloß. Er nahm aus Mules Satteltasche eine Packung Streichhölzer und machte sich daran, die an ihr saugenden Blutegel abzuflammen. Er schob ihr das Haar von den Augen und betrachtete ihr verwüstetes Gesicht. Selbst von meinem Standort aus erkannte ich die zartknochige Nase – zerbrochen; die oberen Zähne ausgeschlagen, die Augen schwarz

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