Und die Großen lässt man laufen
war die Lage im Fahndungshauptquartier völlig unverändert. Martin Beck und Mänsson saßen sich an dem großen Schreibtisch gegenüber. Keiner von ihnen sagte etwas. Martin Beck rauchte, und Mänsson tat gar nichts. Er hatte keine Zahnstocher mehr.
Zwölf Minuten nach neun machte Benny Skacke den ersten aktiven Einsatz des Tages, indem er mit einem unendlich langen Telexstreifen in der Hand das Zimmer betrat. Er blieb an der Tür stehen und fing an, den Text zu überfliegen.
»Was ist denn das?« fragte Martin Beck.
»Die Liste aus Kopenhagen«, erwiderte Mänsson träge. »Die schicken jeden Tag so einen Riemen raus. Vermißtenanzeigen, gestohlene Autos, Fundsachen, alles mögliche Zeug.«
»Eine Menge Mädchen, die als vermißt gemeldet sind«, sagte Skacke. »Neun, nein, sogar zehn.«
»Das ist die Jahreszeit«, meinte Mänsson.
»Lisbeth Moller, zwölf Jahre«, murmelte Skacke. »Seit Montag nicht mehr zu Hause gewesen, rauschgiftsüchtig. Zwölf Jahre. Nicht zu fassen, was?«
»Manchmal tauchen sie hier auf«, erklärte Mänsson. »Meist natürlich nicht.«
»Gestohlene Wagen«, sagte Skacke. »Ein schwedischer Paß, ausgestellt auf Sven Olof Gustafsson, Svedala, sechsundfünfzig Jahre. Beschlagnahmt bei einer Prostituierten in Nyhavn. Die Brieftasche übrigens auch.«
»Besoffenes Schwein«, sagte Mänsson lakonisch.
»Ein Bagger von einer Tunnelbaustelle. Wie kommt jemand dazu, einen Bagger zu klauen?«
»Besoffenes Schwein«, sagte Mänsson. »Steht etwas unter ›Schußwaffen‹? Die vagabundieren nämlich auch in der Gegend herum.«
Skacke rollte den Streifen weiter auf. »O ja«, sagte er. »Hier sind mehrere aufgeführt. Eine schwedische Armeepistole, neun Millimeter, Husqvarna, die muß ziemlich alt sein, eine Beretta Jaguar… Eine Kiste für eine Arminius 22, fünf Schachteln Munition 7,65…«
»Halt«, sagte Mänsson.
»Ja, was steht da über die Kiste?« sagte Martin Beck.
Skacke ging in der Liste zurück. »Originalkiste für eine Arminius 22«, erwiderte Skacke. Wo gefunden?«
»Am Strand zwischen Drag0r und Kastrup an Land getrieben.
Gefunden von einer Privatperson und der Polizeiwache in Dragor übergeben. Am Dienstag.«
»Steht nicht Arminius 22 auf unserer Liste?« fragte Martin Beck.
»Doch«, sagte Mänsson, der plötzlich aufgewacht und alert war und schon nach dem Telefonhörer griff.
»Aber ja, ja, natürlich«, murmelte Skacke. »Die Kiste, die Kiste auf dem Fahrrad…«
Mänsson sprach energisch auf die Telefonistin in der Zentrale der Kopenhagener Polizei ein. Es dauerte einige Zeit, bis man ihn zu Mogensen durchgestellt hatte. Dieser hatte noch gar nichts von einer Kiste gehört.
»Nun, ich verstehe sehr gut, daß du dich nicht um jeden Scheißdreck kümmern kannst«, meinte Mänsson geduldig. »Aber diese Kiste steht tatsächlich in eurem eigenen verdammten Verzeichnis. Warte mal…« Er sah Skacke an und fragte: »Welche Nummer auf der Liste?«
»Achtunddreißig.«
»Otto och tredve«, sagte Mänsson in den Hörer. »Ja, es kann sehr wichtig für uns sein…« Er lauschte eine Minute. Dann fragte er:
»Weißt du übrigens noch mehr über die Aero-fragt und diesen Hoff-Jensen?«
Pause.
»Ja, das ist gut«, meinte Mänsson und legte auf. Er sah die anderen an. »Sie werden die Angelegenheit untersuchen und dann von sich hören lassen.«
»Wann?« fragte Martin Beck.
»Mogensen pflegt schnell zu arbeiten«, erwiderte Mänsson und gab sich wieder seinen Gedanken hin.
Der Rückruf aus Kopenhagen erfolgte in weniger als einer Stunde. Mänsson hörte meist nur zu. Seine Miene hellte sich immer mehr auf. Er schien zufrieden zu sein. »Glänzend«, sagte er zum Schluß.
»Nun?« fragte Martin Beck.
»Die Kiste befand sich in ihrer technischen Abteilung. Der Bursche in Dragor hatte sie erst wegwerfen wollen, aber gestern steckte er sie in eine Plastetüte und schickte sie nach Kopenhagen. Wir bekommen sie mit dem Tragflächenboot, das um elf von Nyhavns kanal abgeht.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte zu Skacke: »Sieh zu, daß bei der Ankunft ein Streifenwagen unten an der Anlegestelle steht, wenn das Boot einläuft.«
»Was wußte er über Hoff-Jensen?« fragte Martin Beck.
»Das meiste. Er scheint dort drüben ziemlich bekannt zu sein. Fauler Kunde. Es ist aber nicht an ihn heranzukommen. Seine dunklen Geschäfte betreibt er nämlich nicht in Dänemark. Dort ist alles, was er treibt, vollkommen legal.«
»Die dunklen Geschäfte
Weitere Kostenlose Bücher