Und die Ratte lacht - Roman
Heft mitgebracht? Es gibt nichts zu erzählen, ein paar Worte, das ist alles. Vielleicht suchst du dir jemand anderen?
Ich sagte, ich habe niemand anderen. Und schließlich sagte sie, Dunkelheit, Loch, Kartoffeln, und dann war der Krieg zu Ende.
Ich spürte, dass sie ein bisschen böse auf mich war, und ich wusste nicht, warum. Ich hatte das Gefühl, sie zu ermüden, ihr die Zeit zu rauben, die ihr vielleicht sehr kostbar war, alte Leute haben wirklich nicht mehr so viel Zeit übrig, und ich falle ihr auf die Nerven mit meinem Schulprojekt, das ich vorbereiten muss, sonst bekomme ich keine Note. Es ist nicht fair, von ihr zu verlangen, in eine Zeit zurückzukehren, in der sie so klein war, denn ein Kind kann sein Leben nicht kontrollieren, wenn es noch so klein ist, es kann sich nicht sagen, dass dies einmal die wichtigste und bedeutendste Zeit in seinem Leben sein wird. Sogar ich, die ich sieben Jahre älter bin als sie damals war, kann nicht wissen, was einmal wichtig sein wird und was ich aus der Erinnerung tilgen werde, als wäre es nie geschehen. Sie sagte, es sei schade, dass Großvater nicht mehr lebe, er habe ein großartiges Gedächtnis gehabt, und jetzt, da sie den Computerkurs für Senioren mache, verstehe sie erst, dass er auch mit den Erinnerungen anderer verbunden gewesen sei.
Ich war schrecklich nervös, teils weil mein Heft leer blieb, und teils weil ich mir wegen der schrecklichen Dinge, die ich vielleicht hören müsste, solche Sorgen gemacht hatte. Doch nun beruhigte ich mich allmählich, denn ich verstand, dass es solch eine Geschichte nicht geben würde, und insgeheim war ich dankbar dafür, dass sie zu klein gewesen war.
Auch die Namen der Bauersleute, die sie gerettet hatten, konnte ich nicht herausbekommen, ich fragte sie so taktvoll wie möglich, wie du es uns beigebracht hast. Ich erinnerte mich an die Beispiele, die du an die Tafel geschrieben hattest.
Wie hast du sie genannt, Oma? Ich machte sogar Vorschläge, um ihre Erinnerung anzuregen, falls so etwas überhaupt möglich ist. Vielleicht habe sie sie »Onkel« und »Tante« genannt, denn ich dachte, möglicherweise hätten sie ihr gesagt, sie würden sie zu Verwandten bringen. Oder mit irgendwelchen Zärtlichkeitsformen, das würde doch zu einem kleinen Mädchen passen. Einen Moment lang überlegte ich sogar, ob sie sie »Mama« und »Papa« genannt hatte, aber diesen Gedanken sprach ich nicht aus.
Nichts hat geholfen, obwohl ich sicher bin, dass sie sich anstrengte, denn für mich ist sie bereit, alles zu tun, so sagt sie immer, und so sagt auch meine Mutter, manchmal bitter, und mir scheint dann, als sei sie ein bisschen eifersüchtig auf mich.
Und überhaupt habe ich immer gedacht, alte Menschen erinnern sich viel besser an Dinge, die ihnen vor langer Zeit passiert sind, und vergessen, was sie morgens zum Frühstück gegessen haben, aber das ist vielleicht ein Märchen, und die Menschen können ihre Erinnerungen kontrollieren und arrangieren sie immer wieder neu, wie Stundenpläne in der Schule, wenn sie entscheiden, was in der ersten und was in der letzten Stunde gelernt wird, und wer für die Pausen verantwortlich ist, und vermutlich gibt es auch welche, die das Gefühl haben, dass alles nur eine große Freistunde ist. Auch ich weiß, woran ich mich nicht erinnern will. Nicht dass mir das besonders viel hilft, aber vielleicht werde ich es eines Tages hinkriegen.
Meine Großmutter sagte, sie wäre froh, wenn sie ihre Erinnerungen in der Hand hätte, aber leider erinnere man sich nicht immer an das, woran man sich erinnern sollte, im Gegenteil. Und sie sagte, sei nicht traurig, das ist kein großer Verlust.
Aber ich war traurig, denn Menschen, die ein kleines Mädchen retten, haben es verdient, dass man sich an sie erinnert. Ich war sogar irgendwann wütend auf sie, denn trotz allem verdienen es Retter, dass die Überlebenden sich an sie erinnern, auch wenn sie sich weigert, als »Überlebende« bezeichnet zu werden. Ich finde es so ungerecht, ausgerechnet jene zu vergessen, die einem Gutes getan haben, aber das habe ich ihr nicht gezeigt. Ich bin sicher, dass auch sie jeden Tag versucht, sich an sie zu erinnern, und schließlich kann sie nichts dafür, dass sie zu klein war.
Glaub mir, Miri, ich habe alles versucht, du bist meine Lieblingslehrerin, ich würde dich nicht anlügen. Ich habe sie gefragt, was das für ein Ort war, unter der Erde, denn ein Loch für Kartoffeln sagt mir gar nichts, bei uns hebt man Kartoffeln
Weitere Kostenlose Bücher