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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Persona Verlag
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nicht unter der Erde auf, höchstens im Gemüsefach des Kühlschranks. Und wenn das eine Art Keller war, dann muss ich sagen, den einzigen Keller, den ich kenne, ist der alte Luftschutzkeller unter ihrem und Großvaters Haus in Tel Aviv, den niemand benutzt und den die Stadtverwaltung nach irgendeinem Krieg geschlossen hat, ich weiß nicht, nach welchem, und an dem ein Warnschild hängt.
    Sie sagte, ein Loch, einfach ein Erdloch, als wäre ein Loch, in das man ein kleines Mädchen bringt, das normalste von der Welt. Und für mich ist ein Erdloch eine Grube im Garten, in die man eine Blume pflanzt, oder am Neujahrsfest der Bäume einen Baum, kein Ort, an dem man lebt, noch nicht mal vorübergehend. Es muss etwas Besonderes gewesen sein, dass der Bauer und die Bäuerin für sie vorbereitet hatten. Vielleicht hatten sie es zusammen mit ihren Eltern geplant, so ähnlich wie ihr Zimmer zu Hause, damit sie die Veränderung nicht allzu stark spürte und sich schnell eingewöhnte. Mit einem Bett und einem Teppich und vielleicht einem Schrank, denn bestimmt haben ihre Eltern Kleidungsstücke und Spielsachen mitgeschickt. Sicher eine Puppe. Und natürlich hatte sie eine Taschenlampe oder eine Birne, es muss dort Licht gegeben haben.
    Doch so sehr ich es auch versuchte, sie beharrte auf dem Wort »Loch«.
    Ich kehrte zu meinem Heft zurück. Ich war wirklich enttäuscht, denn ich verstand nicht, warum sie dickköpfig bei diesem unrichtigen Wort blieb, obwohl ich immer dachte, das sei komisch, wie sie alle möglichen Dinge durcheinanderbringt und nicht immer weiß, was zu was passt, zum Beispiel wenn sie sagt »steig nach oben herunter« oder »steig nach unten herauf«. Und mein Vater sagte bei seinem letzten Besuch in Israel, es lohne sich nicht, sie zu korrigieren, das sei einfach ihre besondere Art Humor. Aber diesmal hat es mich überhaupt nicht amüsiert. Ich betrachtete die Fragen, die ich vorbereitet hatte und die nichts wert waren, und da ich keine Wahl hatte, dachte ich mir andere aus.
    Ich fragte, wie kam sie herunter, wie ging sie hinauf, und ob es Stufen gab, ich stellte mir sogar eine Art Tunnel vor, den die guten Bauern gebaut hatten, um sie hinauszubringen, zum Luftschnappen oder um ein bisschen spazieren zu gehen, nachts oder zu einer anderen Zeit, wenn sie es für sicher hielten. Ich stellte mir vor, wie sie zu den Nachbarn sagten, sie würden eine arme Waise aufziehen, eine Verwandte, die wegen des Kriegs keinen anderen Platz hätte, natürlich nur Nachbarn und Freunden, auf die sie sich verlassen konnten. Ich hatte das Gefühl, dass alles, was ich mir von ihrem Leben dort vorstellte, ziemlich genau ins Schwarze traf. Und die Tatsache, dass es auf der Welt solche Menschen gibt, ermutigte mich, denn im Fernsehen sieht man immer nur solche, die Böses tun. Ich wünschte mir, ich könnte ihr helfen, sich an ihre Namen zu erinnern, denn dann könnte ich ihnen einen Dankesbrief schreiben, obwohl ich sicher bin, dass sie schon nicht mehr leben, doch dann könnte ich wenigstens ihren Kindern schreiben, oder ihren Enkeln, und ich würde sogar das Yad Vashem Holocaust Museum benachrichtigen, dass ich neue Gerechte entdeckt habe. Das sind die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, und ich dachte an die Ungerechtigkeit der Erinnerung, wie wenig sie sich kümmert, und wie schade es ist, dass ich nicht früher gefragt habe, und noch schlimmer, dass meine Mutter sich nicht um diese Details gekümmert hat, als meine Großmutter noch viel jünger war, denn dann hätte ich die Geschichte von meiner Mutter erfahren können, geordnet und klar und mit Anfang, Mitte und Schluss. Es ist einfach nicht fair jenen Menschen im Dorf gegenüber, dessen Namen sie ebenfalls vergessen hat, auch wenn es nicht ihre Schuld ist. Es liegt nicht daran, dass sie nicht dankbar ist, sondern einfach daran, dass sie zu klein war.
    Sie hat gesagt, sie sei nie aus dem Loch hinausgekommen, nur die Ratte sei hinausgegangen.
    Und so entdeckte ich die Ratte.
    Du weißt, dass ich nicht so schnell aufgebe, ich stand auf und holte vom Regal den alten Atlas, der meinem Opa gehört hatte und in dem es noch Länder gibt, die nicht mehr existieren, die sich aufgelöst haben, und bat sie, den Ort zu suchen. Ich habe sogar mit dem Finger hingedeutet. Mein Finger ist von einem Land zum anderen gewandert, hat mit Leichtigkeit Grenzen überschritten. Ich flog durch ganz Europa und habe mich versehentlich nach Asien verirrt, ich habe mit Absicht die kleinsten Länder

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