Und die Ratte lacht - Roman
ihren Kopf mit Erde. Es gelang mir kaum, sie dort herauszuziehen, damit sie Luft bekam.
In der Kirche hielt ich meine Predigt. Heute beginnen die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Zeit zur Gewissenserforschung und zur Vorbereitung auf die Wiedergeburt Christi.
Die Bauersfrau versteift sich. Der Erlöser ist schon gekommen. Hier ist der Beweis: Die Juden sind alle tot. Und Sie, Pater Stanislaw, haben Sie Ihr Versprechen schon erfüllt?
3. Dezember 1943
Ich habe alle Holzdielen in meiner Kammer herausgerissen, auch in der Nische.
Ich drücke mich in die Erde. Ich begrabe mich selbst. Nachts liege ich neben ihr in der Nische. Beide schlafen wir endlich ein. Auch dieses Tagebuch wird mit Erde geschrieben, es ist zerrissen und fleckig. Manchmal nage ich mit den Zähnen an den Blättern. In der Dunkelheit, auf meinem Bauch. Die Erde dringt in meine Haut, juckt unter meiner Soutane. Ich habe mich an ihren Geschmack gewöhnt. Sie ist zu einem Teil von mir geworden. Ich atme Erde, ohne zu ersticken.
Wir wühlen uns beide in Erde, und mir scheint, dass sie endlich gesundet.
Ave Maria der Erdbewohner. Gelobt sei die Frucht deiner Erde.
Amen.
4. Dezember 1943
Ich werde alles Erforderliche tun, um ihre Erinnerung auszulöschen.
Ich gehe auf allen vieren. Ich krieche, ich schlage meine Krallen in die Erde. Wenn sie in die Hände klatscht, springe ich. Wenn sie mir ein Zeichen gibt, mich zurückzuziehen, entferne ich mich.
Wer bin ich. Wofür.
Ich darf nicht fragen.
Ich bin nicht länger von irgendwelchen heilenden Erinnerungen aus einer fernen Vergangenheit abhängig. Wir lassen neue Erinnerungen wachsen. Unsere eigenen.
6. Dezember 1943
Gedenktag des heiligen Nikolaus
Die Kälte nimmt zu. Ich heize den Ofen mit Holz, das ich vor Einbruch der Dunkelheit im Wald gesammelt habe. Als ich zurückkam, sah ich ihr kleines Gesicht über den Eisblumen an die Scheibe gedrückt. Ich sagte ihr, die letzte Tat des Schöpfers sei es gewesen, Blumen auf die Erde zu senden. Aber weil er zu viele erschaffen hatte, war er gezwungen, einige zu entfernen. Die Muttergottes erbarmte sich ihrer und sagte, ich werde diese übrig gebliebenen Blumen den Menschen schenken. Sie werden sie in den kalten Tagen an ihre Fenster kleben, und sie werden ihnen ein kleines Glück schenken.
Ich lese die Frage in den Augen des Mädchens.
Mein Vater, war ich jemals glücklich? Jeden Abend spreche ich mit ihr und mit dir. Ich habe mich an meine Stimme gewöhnt. Aus den Wäldern kommt das Heulen der Wölfe herüber. Heiliger Nikolaus, Patron der Hirten, bringe die Schlüssel vom Paradies und verschließe den Wölfen die Mäuler.
In unserem Dorf spielen die Kinder »Fang den Wolf«. Wer es schafft, alle Gänse um sich zu versammeln, ist der Gewinner. Ich habe das nie gespielt.
Das Mädchen liegt still in der Nische. Es ist, als kenne sie die Spielregeln.
25. Dezember 1943
Weihnachten
Um Mitternacht läuten die Kirchenglocken. Die Kirche ist voll. Ich hebe die Hostie über den Altar. Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.
Am Ende der feierlichen Messe gehen die Gemeindemitglieder an mir vorbei und drücken mir die Hand. Das war eine wunderbare Predigt, Pater Stanislaw. Auch aus den Nachbardörfern waren sie gekommen. Doch wer wird die wahre Predigt halten? Sogar der Heilige Stuhl in Rom macht den Mund nicht auf, Wer wird in deinem Namen rufen, dass unsere Kirchen Schutz gewähren müssen?
Wenn ich doch die Gemeindemitglieder schütteln könnte, die auf ihren Bänken sitzen und folgsam Gebete murmeln. Wenn ich doch sagen könnte: Die Juden sind Teil des Körpers der Menschheit, man darf ihn nicht ausreißen. Es ist das gleiche Loch, aus der wir alle gekommen sind. Zum Festmahl laden sie Arme an ihren Tisch ein, und sie sagen sogar: »Ein Gast im Haus, heißt Gott im Haus.« Am Schluss des Mahls ziehen sie Strohbündel unter der Tischdecke hervor, als Omen für ein langes Leben. Wenn sie wüssten, was ich ihnen im Schutz meiner Soutane wünsche. Sie schenken mir zwar ihr Vertrauen, aber ich bin nicht gezwungen, sie zu lieben.
Ich möchte schreien, schaut euch an, wer auf der Via Dolorosa schreitet, seht all die Väter, die Mütter, die Kinder. Sie flehen um ein bisschen Erbarmen, während ihr, die ihr euch Christen nennt, ihnen den Rücken zukehrt.
Die Bäuerin und ihr Mann saßen in der ersten Bank, ihr Sohn daneben.
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