UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
war. Doch niemand hatte darauf eine Antwort.
Am nächsten Tag, als ihre Brüder eingetroffen waren, fand das erste Gespräch mit den Ärzten statt. Es hieß, Paps’ Verletzungen seien massiv, die Behandlung langwierig und kompliziert. In einer privaten Reha-Klinik, in der er rund um die Uhr betreut würde, bestünde jedoch die Chance, dass sich sein Zustand mit der Zeit besserte. Das „Sheffield House“, eine Reha-Klinik in Newport, wäre beispielsweise eine derartige Einrichtung.
Dann kam jemand von der Krankenhausverwaltung und erklärte Rosa und ihren Brüdern, dass ein Aufenthalt im „Sheffield House“ nur für Privatversicherte erschwinglich wäre. Da ihr Vater überhaupt keine Versicherung hatte, würde diese Klinik für ihn leider nicht infrage kommen und er würde in ein staatliches Pflegeheim verlegt werden.
Rob hämmerte mit der Faust an die Wand des Sprechzimmers. Sal musste ihn davon abhalten, noch mehr Schaden anzurichten, und ging dann sofort zum Kirchenbüro, um sich beraten zu lassen, welche anderen Möglichkeiten es für Paps gäbe.
Viele weitere Gespräche folgten. Mit den Leuten der Kirche, mit der Bank, mit Freunden. Doch das Ergebnis blieb immer das Gleiche: Mehr als ein staatliches Pflegeheim, in dem Paps wenig Chancen hatte, völlig wiederhergestellt zu werden, war nicht machbar. Rosa war in so großer Sorge um ihren Vater und so durcheinander von den vielen Besprechungen, dass sie gar keine Zeit hatte, kurz innezuhalten und sich zu fragen, wo eigentlich Alex war und warum er sie nicht zurückgerufen hatte.
Ein paar Tage später verkündete Pater Dominic die große Neuigkeit. Im Auftrag eines anonymen Wohltäters würde eine Anwaltskanzlei in Newport sämtliche Kosten für Paps’ medizinische Betreuung übernehmen – auch die Behandlung in der privaten Reha-Klinik.
Die Leute rätselten, wer denn dieser Wohltäter sein könnte, doch Rosa und ihre Brüder wagten es nicht, darüber zu spekulieren. Sie nahmen es als das, was es für sie war – ein Wunder.
Ab diesem Moment verbat sich Rosa alle weiteren Wünsche. Das Schicksal war bereits gnädig genug gewesen. Statt aufs College zu gehen, blieb sie den folgenden Herbst allein im Haus in der Prospect Street und arbeitete weiter für Mario. Ihre Brüder verlängerten beide ihren Urlaub und blieben ebenfalls, doch sobald Paps in die Klinik nach Newport überstellt worden war, versicherte Rosa ihnen, dass sie allein zurechtkommen würde.
Es war nicht leicht, ihren Traum zu begraben. Sie setzte sich mit den Professoren in Verbindung, bei denen sie geplant hatte, Seminare zu belegen, und alle ließen ihr sämtliche Unterlagen und Leselisten zukommen. Und ausnahmslos alle ließen sie wissen, dass sie hofften, Rosa im nächsten Semester als Teilnehmerin ihrer Kurse begrüßen zu können. Latein zu büffeln, sich mit der Anatomie der wirbellosen Tiere auseinanderzusetzen oder Opernlibretti zu lesen bewahrten Rosa in diesem Herbst davor, vor Langeweile verrückt zu werden. Sie war fest entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen, sobald Paps wieder auf den Beinen war.
Doch irgendwann, beim Durchsehen der Rechnungen, machte sie eine äußerst beunruhigende Entdeckung. Ihr Vater hatte einen hohen Kredit aufgenommen und war mit den Rückzahlungen in Verzug geraten. Er stand kurz vor dem Ruin. Wie konnte sie das College überhaupt noch in Erwägung ziehen, wenn ihr Vater in derartigen Schwierigkeiten steckte?
In diesem Moment, beim Eintippen der Zahlen in den billigen Taschenrechner aus dem Supermarkt, war ihre Jugend endgültig zu Ende. Sie war nun eine Erwachsene. Die Veränderung war von außen nicht zu erkennen, und niemand würde etwas merken, doch das spielte keine Rolle. Als sie von dem mit Rechnungen überhäuften Tisch aufstand, war sie ein anderer Mensch. Sie war nicht mehr die künftige College-Studentin, die am Campus wohnen und eine vielversprechende Zukunft vor sich haben würde, sondern eine Frau, die nun hart und viel arbeiten musste. Eine Frau, der am Abend die Füße schmerzen würden, die dafür jedoch pünktlich jeden Freitag ihren Gehaltsscheck bekäme.
Was ihr zusätzlichen Kummer bereitete, war die Tatsache, dass Alex sich nicht bei ihr gemeldet hatte. Kein Anruf, kein Besuch, nichts. Verletzt und enttäuscht hatte sie am College angerufen und nach seiner Nummer gefragt. Sie hatte sie auch mehrmals gewählt, doch immer aufgelegt, bevor jemand abhob. Nur einmal, irgendwann spätnachts, war sie so wütend und auch einsam
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