UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
immer noch und schob seine Brille hoch – wahrscheinlich eine Verlegenheitsgeste. Sie sah ihn an und wischte sich energisch über die Augen. „Los, hol die Schere. Und ein Haargummi.“
„Ein was?“
Sie rollte die Augen. „Ach, komm schon, das ist eine Art Gummiband mit Stoff drumrum, mit dem man einen Pferdeschwanz machen kann. Hol einfach irgendein Gummi. Auf dem Flugblatt steht, dass man das Haar als Zopf schicken soll. Los, mach schon, Alex.“
„Können wir nicht Mrs. Carmichael fragen, ob …“
„ Alex .“
Schicksalsergeben trottete er nach oben, wo sie ihn herumkramen hörte. Dann kam er mit einem Gummiband und einer Schere zurück. Das war das Schöne an Alex – er machte, was sie wollte, auch wenn er nicht damit einverstanden war.
Dies hier versprach ein neues Abenteuer zu werden. Rosa schnappte sich ein Handtuch und ging nach draußen. Alex folgte ihr grummelnd.
„Einen Moment noch“, sagte sie. „Ich muss mir noch das Haar bürsten und es dann zu einem Pferdeschwanz binden.“
Er schüttelte bloß den Kopf.„Tu, was du nicht lassen kannst.“
Ihre dicke Mähne war hoffnungslos verheddert. Sie hatte sich heute Morgen die Haare gewaschen, doch als sie mit dem Fahrrad zu Alex gefahren war, hatte der Wind es ihr durcheinandergewirbelt, sodass es nun kaum zu entwirren war. Alex sah eine Weile zu, wie sie damit kämpfte. Schließlich sagte er: „Gib mir die Bürste.“
Als sie ihm die Bürste reichte, war es wieder da – dieses komische Gefühl der Verlegenheit. „Tu, was du nicht lassen kannst“, sagte sie im gleichen Tonfall wie er vorhin.
„Dreh dich um.“ Vorsichtig begann er, ihr Haar zu bürsten. Allzu vorsichtig. Er berührte es kaum. „Himmel, du hast aber viele Haare.“
„Was dagegen?“
„Ich meine ja nur … Halt endlich still. Und hör auf zu quatschen.“
Sie entschloss sich zu kooperieren. Das schien ihr nur fair – immerhin half Alex ihr gegen seine Überzeugung. Langsam schien er den Trick rauszuhaben, wie er ihr Haar mit der Bürste entwirren konnte, ohne daran zu zerren und ihr wehzutun. Er fing unten an und arbeitete sich immer weiter nach oben, bis die Bürste sich schließlich ohne Widerstand durch ihr Haar ziehen ließ. Als er sie so geduldig und vorsichtig kämmte, spürte Rosa etwas sehr Merkwürdiges. Etwas Merkwürdiges und Wunderbares. Sie schloss die Augen, und als seine Hände ihren Nacken streiften, musste sie sich auf die Lippe beißen, um ein Seufzen zu unterdrücken.
Sie hörte ihn atmen. Es klang so, als wäre alles in Ordnung. Rosa hatte immer Angst, dass irgendetwas einen seiner Asthmaanfälle auslöste. Doch seit einer Weile nahm er ein neues Medikament, mit dem es ihm besser denn je ging.
„So“, sagte er leise, „ich glaube, jetzt sieht die ganze Sache gar nicht so schlecht aus.“ Er schob das Gummiband um ihre Mähne. Dann sah er sie an. „Rosa?“
Sie riss die Augen auf. „Ja?“
„Du guckst so komisch. Bist du sicher, dass ich es abschneiden soll?“
„Ganz sicher.“
„Auf deine Verantwortung.“ Er nahm die Schere und begann zu schneiden. Es fühlte sich nicht so an wie bei Mamma früher, aber das war Rosa egal. Sie war froh, das lange Haar endlich loszuwerden. Ohne Mutter, die einen frisierte, brauchte man kein langes, dichtes Haar. Außerdem gab es irgendwo ja jemanden, der es nötiger hatte als Rosa.
Mit jedem Schnitt fühlte sie sich leichter. Schließlich fiel der dicke Pferdeschwanz auf den Boden. Alex betrachtete ihn argwöhnisch. „Ich glaube, ich eigne mich nicht besonders gut für so etwas.“
Sie fuhr sich mit der Hand über ihren Nacken. Es fühlte sich großartig an. Der ganze Kopf schien plötzlich wie schwerelos. „Wie sieht es aus?“
Er musterte sie nachdenklich. „Ich weiß es nicht.“
„Natürlich weißt du es. Du guckst mich doch die ganze Zeit an.“
„Du siehst einfach aus … wie Rosa. Nur mit weniger Haar.“
Ach, was wusste ein Junge denn schon. Außer ihrem Freund Vince kannte Rosa keinen Jungen, der von Frisuren oder Klamotten eine Ahnung hatte. Sie würde Vince und Linda fragen müssen, wie sie mit der neuen Frisur aussah.
Sie hob den langen Pferdeschwanz auf und begutachtete ihn. Alex wich zurück, als hielte sie ein totes Tier in der Hand.
„Tja“, sagte sie, „daraus können sie doch bestimmt eine Perücke machen.“
„Und was für eine.“ Er wagte sich nun wieder etwas näher heran. „Vielleicht sogar zwei.“
Sie legte den Zopf in einen großen Gefrierbeutel,
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