UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER
sein. Sie hatte ihm zurückgeschrieben, dass sie nun in Marios Pizzeria einen Teilzeitjob hatte und fürs College sparte. Trotz aller guten Vorsätze war die Korrespondenz bald eingeschlafen, und Alex war nie mehr in die Strandvilla zurückgekommen.
Irgendwann hatte Rosa die Hoffnung aufgegeben, ihn je wiederzusehen. Und trotzdem konnte sie nicht anders, als sich im Sommer, wenn Mrs. Montgomery Cocktailpartys für ihre Freunde veranstaltete, nach ihm zu erkundigen: Kommt Alex diesen Sommer?
Er hat andere Pläne, hatte seine Mutter geantwortet. Da gab es dieses Sommercamp, das offenbar drei Monate dauerte, oder er war bei seinen Freunden aus dem Internat, und einmal verbrachte er die Ferien sogar in Europa. Mrs. Montgomery bezeichnete es als „Studienreise“, doch Rosa stellte sich Alex vor, wie er mit dem Zug durch die Länder tingelte, Pastis schlürfte und irgendwo an der Riviera saß und Gauloises rauchte. Dann war da dieses „Praktikum an der Wall Street“, das sehr beeindruckend klang, wobei Rosa sich auch hier vorstellte, dass Alex den ganzen Tag an irgendeinem Kopierer stand und sich zu Tode langweilte. Irgendwann hatte sie dann aufgehört, sich nach ihm zu erkundigen. Sie wollte nicht, dass Mrs. Montgomery Verdacht schöpfte oder – noch schlimmer – Mitleid mit ihr hatte.
Sie fragte sich, ob ihm das viele Reisen, die Sommercamps und die Urlaube bei Freunden gefielen. Manchmal wünschte sie, er würde hin und wieder eine Ansichtskarte schicken – von der Isle of Man beispielsweise oder von Mykonos. Doch das war ein dummer Wunsch. Was sollte er ihr auf einer Ansichtskarte schon schreiben? Und was sollte sie antworten?
Als Kinder war ihnen nie der Gesprächsstoff ausgegangen. Sogar das Schweigen zwischen ihnen war eine Art stummer Austausch von Ansichten und Gefühlen gewesen. Und sie beide hatten sich immer verstanden.
Aber so war es nun mal mit Sommerfreundschaften, dachte sie. Jetzt, da sie älter war, verstand sie es. Eine Sommerfreundschaft blühte an der Sonne und verblühte im Herbst. Am Ende der Ferien hörte sie einfach auf. Wie ein Sonnenschirm wurde sie zum Saisonende zusammengeklappt und bis zum nächsten Sommer weggepackt.
Sie musste über ihre eigenen Gedanken lächeln, während sie den Bestand der Pizzakartons kontrollierte. Vielleicht würde sie genau das ja am College lernen – die Psychologie der Freundschaft. Wahrscheinlich gab es zu diesem Thema ein richtiges Seminar. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte das Vorlesungsverzeichnis sie ziemlich eingeschüchtert. Es war so dick wie ein Telefonbuch. Leicht würde es am College nicht werden, das stand fest. Doch es war wichtig für ihre Zukunft. Sie wollte nicht den Rest ihres Lebens in Winslow versumpfen.
Sie summte vor sich hin, während sie weiter das Regal aufräumte. Dann begann das Telefon zu läuten, denn nun kamen die ersten Bestellungen. Marios Pizzaofen, der mit Holz beheizt wurde und den er selbst Ziegel um Ziegel gebaut hatte, war jenem Ofen nachempfunden, den sein Vater in der Trattoria in Neapel gehabt hatte. Es ging eine enorme Hitze von ihm aus, sodass es am Nachmittag in der Küche fast unerträglich heiß sein würde. Vince und Leo, die beiden Köche, würden abwechselnd mit einem nassen Handtuch und einer Newport-Zigarette nach draußen gehen, um sich abzukühlen. Und dann würde der Boden neben der Mülltonne wieder mit Kippen übersät sein.
Rasch machte sie sich eine gedankliche Notiz: Stell einen Eimer mit Sand als Aschenbecher hinaus. Sie nahm sich fest vor, es später gleich zu erledigen.
Als die ersten Pizzen des heutigen Tages in den Ofen geschoben wurden, schloss sie die Augen und schnupperte andächtig. Das war es, dachte sie, warum sie seit Jahren bei Mario arbeitete. Viele Mädchen in ihrem Alter arbeiteten in Boutiquen oder als Rettungsschwimmer am Strand. Manche fuhren sogar nach Newport und jobbten dort als Kellnerinnen oder in einem Hotel an der Rezeption. Rosa, die den Ruf hatte, ein sehr verlässlicher Mensch zu sein, hätte sogar einen anspruchsvolleren Job bekommen können, vielleicht sogar ein bezahltes Praktikum bei einem Radiosender.
Doch sie fühlte sich wohl hier in Marios lauter, enger und heißer Küche, wo gerade Tony Bennett im Radio zu hören war und es nach Pizzateig und Marinara-Sauce duftete.
Beschwingt ging sie zur Theke und schaltete die elektronische Kasse und das Kreditkartenterminal ein. Durch das große Fenster, auf dem – was sonst? – eine Pizza mit Flügeln
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