Und ewig währt die Hölle (German Edition)
Skagerrak», sagte sie und starrte auf die Bergflanke, an der die alten Holzhäuser dicht an dicht standen, wie Möwen auf einem Vogelfelsen. «Wird es nicht so genannt?»
«Was denn?»
«Risør, die weiße Stadt am Skagerrak?»
«Doch …»
«Haben hier Fischer gewohnt?»
«Kann schon sein», erwiderte Lykke zerstreut, «oder Bootsbauer. In Risør gab es viele Werften.»
«Du weißt ja gut Bescheid», sagte Parisa lächelnd.
Lykke merkte, wie er verlegen wurde.
«Strandgata 44», murmelte er. «Laut GPS ist das eins der Häuser hier.»
Er zeigte auf zwei teilweise aneinandergebaute zweistöckige Häuser aus weiß gestrichenem Holz.
Ein unauffälliges kleines Pappschild, auf dem mit Kugelschreiber der Name stand, sagte ihnen, dass sie hier richtig waren. Die Klingel saß so tief, dass auch Kinder sie erreichen konnten. Lykke drückte kurz und energisch darauf.
«Ich hatte ihm gesagt, irgendwann zwischen zwölf und eins.»
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, 12.07 Uhr. Im selben Moment ging die Tür auf, und Gisle Kvamme stand abwartend da.
«Höchstens drei Minuten», sagte er leise. «Nora ist in der Küche und chattet mit einer Freundin, aber sie ist … nicht sie selbst, verständlicherweise. Wir haben um zwei einen Termin bei einem Krisenpsychologen in Arendal.» Er trat widerwillig einen Schritt zur Seite, um sie hereinzulassen.
Lykke nahm innerhalb weniger Sekunden das kleine Wohnzimmer in sich auf. Ein braunes Cordsofa mit bunten Kissen, zwei Designerstühle mit braunem, abgenutztem Lederbezug, ein schlichter Couchtisch, frisch abgeschliffene Kieferndielen, an den Wänden gelb gestrichene Holzpaneele, ein Flachbildfernseher, der auf zwei kleinen Kommoden stand. Zu beiden Seiten des Sofas zwei identische Stehlampen. Keine Teppiche, keine Bilder. Nicht viel Futter für einen Profiler, dachte Lykke.
«Wohnen Sie schon lange hier?», fragte er, nahm auf einem der Designerstühle Platz und bereute es augenblicklich.
«Fast zwei Jahre.»
Kvamme setzte sich auf die äußerste Sofakante. Parisa blieb stehen und betrachtete die Aussicht durch das kleine Wohnzimmerfenster.
«Sie verstehen sicher, dass Sie uns mehr erzählen müssen?», fragte Lykke.
Er musterte das magere Gesicht seines Gegenübers. Die Haut war womöglich noch grauer als beim letzten Mal, abgesehen von den Schatten unter den Augen, die violett-dunkelblau schimmerten. Was auch immer es sein mag, dachte Lykke, aber der Mann hat Probleme.
«Was wollen Sie wissen?»
Immer noch derselbe trotzige Unterton.
«Wir können mit der Familie beginnen», erwiderte Lykke kurz. «Eltern, Geschwister?»
Gisle Kvamme entspannte die Schultern ein wenig und holte Luft.
«Nadijas Eltern sind vor vielen Jahren gestorben. Es gibt einen Bruder, Fadil, aber sie hatten seit mindestens fünfzehn Jahren keinen Kontakt mehr. Ich habe ihn nie kennengelernt.»
«Wissen Sie, wo er sich aufhält oder was er macht?»
«Keine Ahnung.»
«Sonstige Angehörige?»
Lykke beobachtete Kvamme genau.
«Sie hatte einen Onkel, aber den hat sie kaum gesehen. Er und ihr Vater hatten sich zerstritten, nach irgendeiner Versicherungssache, Anfang der Siebziger. Ich glaube, der Mann weiß nicht mal, dass es Nadija gibt … gab», berichtigte er sich und schluckte, «und noch viel weniger Nora.»
«Hat er auch einen Namen?»
Parisa ließ die Aussicht Aussicht sein und kramte einen Kugelschreiber aus ihrer Umhängetasche.
«Ich glaube, er heißt Nazim.»
«Nazim, und weiter?»
Kvamme fuhr sich durch das graue, lockige Haar.
«Hadzic, nehme ich an.»
«Okay. Wo wurde sie geboren?»
«In Sarajevo. Sie ist dort auch aufgewachsen.»
Lykke warf einen Blick zu Parisa, die nickte.
«Warum war es so schwierig, uns das zu erzählen?»
Kvamme sah zu Boden.
«Ich wollte einfach nichts mit denen zu tun haben», murmelte er.
«Warum nicht?»
«Das bisschen, was Nadija mir erzählte, hat mir gereicht. Sie hat sich ja von ihrem Bruder distanziert, deshalb sah ich immer einen kriminellen Typen vor mir, der plötzlich hier auftaucht und den Onkel für Nora spielen will …»
«Was hat sie denn erzählt?»
Kvamme dachte nach.
«Das ist so lange her, aber ich glaube, es hatte was mit Geldeintreiben zu tun.»
Lykke runzelte die Stirn.
«Er ist Geldeintreiber in Sarajevo?»
«Ja.»
«Und Ihnen ist nie der Gedanke gekommen, dass er etwas mit dem Mord zu tun haben könnte?»
«Warum sollte er plötzlich hier aufkreuzen? Außerdem war er ihr kleiner Bruder, und laut
Weitere Kostenlose Bücher