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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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keinen abwegigeren Ort für eine wie Mathilda Finkenschlag gab.
    Das war es, was er, Arno, auf den ersten Blick gesehen hatte. Und deswegen gehörte sie nicht hierher. So einfach war das.
    Das allerdings brauchte ihn nicht zu kümmern. Alles, was ihn an ihr interessierte, war, ob sie sich tatsächlich so verhalten würde, wie er erwartete: indem sie das Klosterleben hinter sich ließ, um ihrer wahren Bestimmung zu folgen. Und das nach Möglichkeit, ehe ihr Zopf und Lebendigkeit genommen werden würden.
    Ein Blick zu Georg ließ den, erneut ertappt, die Augen senken, die gedankenvoll auf der jungen Frau geruht hatten. Auf diese Weise hatte Arno natürlich nicht sehen können, ob auch sie ... Nun war es zu spät, denn sie sah ihn, Arno, an. Weil sie wartete, dass er zu ihr käme.
    Was er voller Befriedigung tat, Georgs Blick im Nacken. Dass dieses Experiment so gut funktionieren würde ...
     
    Arno hatte sich kaum neben sie gesetzt, als sie auch schon - ohne abzuwarten, ob er einen speziellen Auftrag für sie hätte – das Inhaltsverzeichnis aufgeschlagen hatte und begann, flüssig zu übersetzen: „' Erstes Buch. Ermahnungen, die nützlich sein können ... denen, die ein frommes und geistliches Leben zu führen wünschen' .“ Sie sah auf.  
    Hatte sie eben noch gelächelt? Plötzlich wirkte sie wieder angespannt, bedrückt. Wie groß der Kontrast zu der eifrigen, freudig erregten Schülerin, die er gestern vor sich gehabt hatte – und das durch den Anblick eines gewöhnlichen Schuldkapitels!
    Er hatte recht gehabt, sie machte sich Sorgen. Weil ihr klar war, dass es genau diese Ermahnungen waren, von denen Kempen sprach, die sie umsetzen musste – und bereits ahnte, dass sie dazu nicht in der Lage wäre.
    Und sie suchte Trost. Trost von Arno, ihrem Lehrer und Beichtvater, dem sie bei ihrer ersten Beichte bereits ihr Herz ausgeschüttet hatte.
    „Muss das so sein?“, verlangte sie dann auch zu wissen. „Ich habe das Gefühl, dass das ganze Leben hier ausschließlich aus Ermahnungen besteht.“ Sie verzog gequält den Mund. Eigentlich hätte es zu ihr gepasst, wenn sie aus Galgenhumor gelacht hätte. Aber vermutlich hatten die Schwestern ihr das schon ausgetrieben.
    Er sah sie ernst an. Sie hatte strikte Anweisung, nicht über das zu sprechen, was innerhalb der Mauern des Frauenkonvents ablief – was es umso schwieriger machte, ihr zu helfen.
    „Das alles ist nicht leicht für Euch, nicht wahr?“, sagte er vage.
    Stumm schüttelte sie den Kopf. Einen Augenblick lang hatte er den Eindruck, als ob sie mit sich kämpfte, nach einem Weg suchte, ihre Seele zu erleichtern, ohne die Gebote der Örtlerin zu missachten. Dann straffte sie bloß den Rücken. „Aber ich bin froh, dass ich hier sein darf“, sagte sie ernst. „Bei Euch.“
    Arno lächelte. „In dieser Hinsicht hat Euer Vater gut für Euch gesorgt.“
    Die Erinnerung an ihren Vater war in der Lage, ihr auch in ihrer momentanen Beklommenheit ein Lächeln zu entlocken. Das war gut.
    Ihr noch einmal ermutigend zunickend, rückte er direkt neben sie. „Ich schlage vor, wir arbeiten das Inhaltsverzeichnis durch, damit Ihr einen Überblick erhaltet – und dann fangen wir an zu lesen.“
     
    Jetzt, da er sie im Unterricht erlebt hatte, konnte Arno ihren Vater verstehen. Dieses Mädchen brauchte geistige Arbeit. Sie gehörte hier in diesen Klassenraum, es wäre unverzeihlich gewesen, ihren Verstand im normalen Klosterdienst zu verschwenden.
    Die ganze Zeit über war sie ausnahmslos bei der Sache. Abwechselnd auf den Text vor ihnen und auf Arno konzentriert, schien sie Zeit und Raum – und damit alles, was sie bedrückte, aber auch die Anwesenheit der jungen Männer – um sie beide vergessen zu haben.
    Arno war derjenige, der öfter einmal Georgs Augen auf ihnen beiden liegen spürte – naja, es handelte sich immerhin auch um sein Experiment. Welches bereits seine erste Frage zu seiner Zufriedenheit bestätigt hatte: Setzte man einem jungen Mönch – so sehr er sich auch zum keuschen Leben berufen fühlte – eine hübsche junge Frau vor, so verging kein Tag, bis er sich in sie verliebte. Das war früher bei Arno selbst so gewesen, und so war es bei Georg. Und dass Hartwig sich heraushielt, hatte vielleicht den einfachen Grund, dass er sich bereits aus dem Rennen wähnte. Außerdem gab es natürlich immer wieder Menschen, denen die Keuschheit sozusagen im Blut lag. Oder die nicht am anderen Geschlecht interessiert waren. Verrückt, wie nah Perfektion und

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