Und führe uns nicht in Versuchung: Kriminalroman (German Edition)
schon irgendwas herausbekommen?«
Maarten sah ziemlich unglücklich drein. Vielleicht lag das auch daran, dass Resis Köter ihn auf Schritt und Tritt verfolgte und sich ständig an sein Knie drückte. Aus unserer Küche schallte so laut »Links ein Busserl, rechts ein Busserl« aus dem Radio, dass ich sofort stechende Kopfschmerzen bekam.
»Oma«, schrie ich in die Küche. »Dreh das Radio aus.« Denk an deine Strahlenbelastung.
»Der Martin, des is ein Tausendsassa«, erläuterte Großmutter stolz. »Der hat des wieder hin’kriegt, dass man den Silbereisen am Radio hören kann.«
Na super. Ich hatte mir die größte Mühe gegeben, dass man den Silbereisen NICHT mehr hören konnte, wenn man das Radio anschaltete.
»Prima«, antwortete ich und zog die Schuhe aus. »Der Martin.« Ein echtes Multitalent.
Es roch total appetitlich nach Essen in der Wohnung. O.k. Das mit dem Radio sei ihm verziehen. Anscheinend brachte Maarten es zustande, dass Großmutter die Medikamente nahm und genügend trank. Dann konnte ich auch ein paar Sekunden Volksmusik ertragen.
Als ich in die Küche kam, schaltete ich als Erstes die Musik aus.
»Dem Schaller ist so gewesen, als wäre ich gestorben«, erläuterte ich meiner Großmutter meine Musikaversion.
»Der Schaller ist schon immer ein bisserl komisch g’wesen«, stimmte Großmutter zu. »Aber des musst schon verstehen. Des liegt bestimmt am Krieg.«
Die Erklärung kannte ich schon. Aber wenn mir jeder Kerl mit Kriegstrauma hinterherschrie, dass ihm so g’wesen wär, als sei ich tot, dann konnte ich gar nicht mehr außer Haus.
Maarten lehnte sich an die Edelstahlspüle.
»Dem haben sie nämlich das Bein weggeschossen«, erklärte ich Maarten. »Und manchmal schreit er auch noch in der Nacht herum, dass er sein Bein behalten will und sich auf gar keinen Fall operieren lässt.«
Und dass sich keiner hertrauen sollte. Das hatte die Metzgerin mal erzählt, und die musste es wissen, denn sie wohnte ja direkt daneben. Und hatte das Schlafzimmerfenster so günstig, dass man jeden Albtraum vom Schaller live miterleben konnte.
Nach dem Krieg hatte sich der Schaller dann ganztags um seinen Garten gekümmert, hauptsächlich Kartoffeln, gelbe Rüben und Bohnen. Das wusste ich auch von meiner Großmutter. An die Obstbäume konnte ich mich dagegen blendend selbst erinnern. Denn er hatte praktisch seine ganze Energie darauf verwendet, aus normalen Obstbäumen Spalierobst zu machen. Das sah ziemlich komisch aus, weil ein normaler Obstbaum einfach keine Lust hat, an irgendwelchen Stangeln zu wachsen. Ich hatte immer den Eindruck, als hätte er sich zum Ziel gesetzt, aus schönen, aufrechten Bäumen so richtige Krüppel zu machen. Als Kind hatte ich zu Anneliese gesagt, dass das ganz normal sei. Dass er sich mit lauter krüppeligen Bäumen umgab, weil er so richtig gerade, tolle Bäume nicht ertragen konnte, psychisch. Und Anneliese hatte geantwortet, dass das jetzt der totale Schmarrn sei und dass die Bäume alle nur so greißlich wären, weil der Schaller halt nichts sah, schon damals nicht. Und dass er Spalierbäume wolle, lag ihrer Meinung auch nur daran, dass er als Einbeiniger eben nicht auf hohe Bäume kraxeln konnte. Da war man mit Spalierobst eben klar im Vorteil.
Trotzdem fand ich, dass die Krüppelspalierbäume wirklich eigenartig aussahen, wie lauter kleine, verschrobene Gnome, die mit viel zu langen Armen versuchten, sich aus ihrer Lage zu befreien. Und jedes Jahr kam von Neuem der Schaller und ließ das nicht zu. Wenn das nicht fies war.
»Der Schaller, der tut mir total leid«, sagte ich zu Maarten. »Der ist inzwischen so alt, dass er mit seiner Tochter um die Häuser zieht. Früher hätte er bei so was wahrscheinlich die Krise gekriegt.« Früher hatte er sowieso immer gescholten, wenn es um seine Tochter und ihre »Brut« ging.
»Da hat er doch so geschimpft. Auf die Kreszenz«, erinnerte ich mich.
»Wegen den zwei Buben von ihr«, erklärte Großmutter. »Da könnst ja auch stocknarrisch werden. Hast du den Girgl in letzter Zeit mal g’seh’n? Der hat s’ doch nimma alle.«
Maarten legte fragend den Kopf schief.
»Der hat sie nicht mehr alle, der Girgl«, erklärte ich ihm. »Der hat sich seinen Verstand weggeschossen, mit diesen Drogen. Verstehst.«
Maarten nickte.
»Und der Anderl«, fügte Großmutter hinzu, »der grüßt nie.«
»Sei froh«, meinte ich. Mir war es jedenfalls lieber, wenn ich keinen engen Kontakt mit Zuhältern und Mitgliedern der Mafia
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