Und jede Nacht ist Halloween
hinter Flush hergewesen sein würde. Nach der ersten Waffe greifen, die gerade zur Hand ist, wie zum Beispiel eine gefrorene Salami im Gefrierfach, Flush totkloppen, dann begreifen, was sie getan hatte. Vielleicht hatte Crutch die Schnauze voll davon, arm zu sein, und hatte das Geld gestohlen, das im übrigen nach den New Yorker Landesgesetzen sowieso zur Hälfte ihr gehörte. Und die Nachricht in Blut — das wäre eine schlaue Art, die Dinge zu verwischen.
Meine Konzentration wurde unterbrochen, als sie zu singen anfing. Ich erkannte das Lied nicht, irgendeine alte bluesige Nummer von Billie Holiday. Aber ihre Stimme — die überraschte mich. Nicht nur konnte sie die Melodie tragen, sie konnte sie auch hochheben, verpacken und durch den Dampf transportieren wie bei der Luftpost. Ich fragte mich, ob ich jemals in meiner Dusche so gut klang — zweifelhaft, selbst bei der Akustik. Das Wasser hörte zu schnell auf — und auch das Singen. Ich kämpfte das Verlangen zu applaudieren nieder, denn ich dachte, das könnte distanzlos sein. Ich wanderte zurück in meine Küche, um ihr etwas Privatsphäre zu lassen. Einen Schuß Tequila knallte ich mir noch rein und zündete mir eine Zichte an. Beide schmeckten super. Ich fragte mich, was Alex wohl gerade machte.
Irgendwann erschien Crutch, geschrubbt und schön auf eine ländlich-frische Art, in meinem roten Anzug. Ihr langes schwarzes Haar machte feuchte Flecken über jeder Brust. Ihre Nippel standen vor wie Druckknöpfe. Ohne Make-up sah sie wie fünfzehn aus, aber ich wußte, daß sie älter sein mußte. Sie sagte: »Ist dein Wasser hart oder eher weich?«
Nicht die geringste Ahnung. »Ich glaube, es ist weich.«
»Es fühlte sich hart und heiß an.« Ihre Augen bedeckten sich eine Sekunde lang, und ich konnte mir vorstellen, daß sie gerade an Strom dachte. Sie machte die beiden letzten Schritte auf die Arbeitsplatte mitten in meiner Küche zu und ließ ihre Ellbogen darauf fallen. Ihr Kopf fiel zur Seite, und ein Tropfen Wasser rollte aus ihrem Haar in den Aschenbecher.
»Erledigt vom Valium?« fragte ich.
»Ich ess’ das Zeug schon seit Jahren wie Smarties, da kann mich nur eins nicht groß außer Gefecht setzen.« Sie räkelte sich trotzdem. Ein Knopf von meinem Anzug platzte am Hintern weg. »Hast du Nähzeug?« fragte sie, während sie sich bückte, um ihn aufzuheben. Ich bemerkte, daß sie keine Unterwäsche trug.
»Vergiß es.« Ich kriegte hier nichts geregelt mit dem Small talk und war außerdem vom Tequila vollgedröhnt. »Hör mal, Sally«, sagte ich. »Du willst reden. Ich will zuhören. Also laß uns damit loslegen. Es ist schon ein Uhr nachts.« Otis sprang auf die Arbeitsinsel drauf. Crutch streichelte abwesend ihren langen schwarzen Schwanz.
»Hübsche Katze.«
»Aus dem Tierheim.«
»Fühlt sich weich an.«
»Ist immer ein gutes Thema für stockende Unterhaltungen.«
»Und du hast sie vor dem sicheren Niedergang gerettet.«
»Vermutlich.«
»Mach das auch für mich«, bat sie inständig. Ich wußte nicht, wo ich anfangen sollte, also tat sie es. »Ich traf Strom, als ich in einem Loch von Nightclub in Forest Hills sang. Er kommt von dort. Der Club war der einzige Laden im Radius von zwanzig Blocks, wo du ein Bier mit ’nem bißchen Fummeln für unter zwanzig Ohren kriegen konntest. Ich war minderjährig, aber ich hatte eine gute Stimme und einen ordentlichen Hintern, so daß der Manager mich trotzdem da singen ließ. Das war irgendwann Mitte der Siebziger. Ich trug enge Mikrominis bis hier und grellorangefarbene Tops. Strom kam da rein und sagte, er sei eine Waise. Ich redete nach meiner Show mit ihm und nahm ihn mit nach Hause, damit er bei mir und meiner Mutter bleiben konnte. Sie ist kürzlich gestorben. Sag nicht, daß es dir leid tut, du hast sie nicht gekannt. Sie war eine Hexe, aber sie war eben Mom.
Stroms Vater hatte ihn auch verlassen, und wir haben die ganze erste Nacht darüber geredet. Er sagte, er lebe bei Pflegeeltern. In den Club kam er mit einem gefälschten Ausweis herein, den er sich in einem Kramladen auf der 8th Street in Manhattan hatte machen lassen.« Sie hielt inne und schüttelte eine Zigarette aus meiner Packung auf den Tisch. Sie berührte sie mit meinem Pistolenfeuerzeug, hustete und erzählte weiter. »Als er sechzehn wurde — er hatte seit einigen Monaten bei mir und Mom gewohnt — , sagte er, er könne nun offiziell seine Pflegeeltern verlassen und auf Dauer bei uns einziehen. Ich war da gerade von ihm
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