Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
die Bemerkung. Auch
Edwards reagierte nicht.
    Dann war außer Morse plötzlich
nur noch Sergeant Lewis in dem düsteren Zimmer. «Dass der ermordet wird,
sei nicht zu befurchten, haben Sie gesagt, Sir.»
    Morse, dem keine passende
Antwort einfiel, sah aus dem Fenster, bis Mrs. Bayley mit zwei aus der Sicht
des Chief Inspector völlig überflüssigen Bechern Kaffee und ebenjenen Keksen
hereinkam, die eigentlich Barron zu seinem überzuckerten Tee hätte genießen
sollen.
    «Sie haben ja schon Sergeant
Lewis geschildert, was Sie vom Fenster aus gesehen haben. Es war das Fenster
einen Stock höher, nicht?»
    Sie nickte. «Es hat sich
meiner... äh...»
    «Netzhaut?», ergänzte Lewis.
    «Danke, Sergeant, ja, meiner
Netzhaut ganz deutlich eingeprägt. Ich habe früher mal in der Augenklinik in
Oxford gearbeitet.» Sie wandte sich an Morse. «Sie mögen mich für eine
schrullige alte Schachtel halten, aber es hat mich an etwas erinnert, was ich
vor ein paar Jahren in einer Sonntagszeitung gesehen habe. Da brachten sie von
Lesern eingesandte Umrisszeichnungen, und man musste raten, was sie
darstellten, und eine habe ich immer im... äh...» (Diesmal hielt Lewis sich
zurück.) Sie griff nach einem Bleistift und warf, ohne um Erlaubnis zu fragen,
mit ein paar raschen Strichen eine kleine Skizze auf eine Seite des Notizbuchs
von Sergeant Lewis.
     

     
    «Jetzt raten Sie mal,
Inspector!» Sie blinzelte ihm zu.
    Morse runzelte die Stirn und
war drauf und dran, etwas völlig Unpassendes vorzubringen, als Lewis sich
unerschrocken einmischte:
    «Eine Giraffe, die an einem
Fenster vorbeigeht.»
    «Gratuliere!»
    Lewis lächelte bescheiden.
«Nein, die kannte ich schon.»
    Er nahm den Bleistift und
setzte mit ebenso raschen Strichen eine kleine Zeichnung darunter:
     

     
    «Aristokratische Sardine in der
Dose», kam es wie aus der Pistole geschossen von Mrs. Bayley.
    «Gratuliere!»
    Sie schüttelte den Kopf. «Die
kannte ich schon.»
    «Ich will ja nicht stören, Mrs.
Bayley», sagte Morse mit leidgeprüfter Miene, «aber...»
    «Natürlich. Entschuldigen Sie
bitte.»
    «In welche Richtung ging Ihre —
äh — Giraffe? Von links nach rechts? Von rechts nach links?»
    «Von links nach rechts, genau
wie ich sie gezeichnet habe, Inspector.»
    «Wenn also die Leiter von links
nach rechts am Fenster vorbeifiel, muss das untere Ende der Leiter von rechts
nach links gerutscht sein — das heißt, von Ihrem Standpunkt hier im Haus, Mrs.
Bayley...»
    «Tut mir Leid, aber ich kann
Ihnen nicht ganz folgen.»
    «Ich meine, wenn jemand dem
unteren Ende der Leiter einen kräftigen Tritt versetzt hätte, wäre derjenige
vermutlich aus Burford gekommen...» Morse deutete nach rechts. «...und... wohin
führt diese Straße?»
    «Bourton on the Water.»
    «...und in Richtung Bourton on
the Water gegangen. Danke, Lewis.»
    «Aber das wissen wir, Sir. Das
mit der Leiter, meine ich. Sie haben ihn sechs oder sieben Meter rechts von der
Haustür gefunden. Von Mrs. Bayleys Standpunkt aus natürlich», fügte er
schadenfroh hinzu.
    «Ja», flüsterte die Dame des
Hauses, die in diesem Augenblick wieder den grausigen Anblick des
zerschmetterten Schädels und des roten Stanley-Messers daneben vor Augen hatte.
    Morse sah recht unfroh in die
Welt, zumal jetzt noch eine zweite Portion Kaffee angeboten wurde. Das Zimmer
hatte sich abgekühlt, und im Aufstehen fröstelte er leicht. Es wurde Zeit für
die üblichen Klischees.
    «Falls Ihnen sonst noch etwas
einfällt — irgendetwas Sonderbares, Ungewöhnliches, egal was...»
    Und plötzlich war ihr wirklich
noch etwas eingefallen. Das Frösteln des Inspector hatte die Erinnerung
ausgelöst.
    «Eine Kleinigkeit, die wirklich
ein bisschen ungewöhnlich war... Wir haben hier herum nicht viele Jogger, für
so was sind wir alle ein bisschen zu alt. Aber heute früh, so um Viertel vor
acht, ist hier einer vorbeigelaufen. Er hatte sich die Kapuze seines
Trainingsanzugs über den Kopf gezogen, als ob ihm kalt war.»
    «Oder als ob er nicht erkannt werden
wollte», ergänzte Morse leise.
    «Aber Sie könnten ihm
vielleicht auf die Spur kommen, Inspector. Er hatte nämlich sehr auffällige
Laufschuhe an. Rote Laufschuhe.»
    Als die beiden Kriminalbeamten
sich bedankt und verabschiedet hatten, lagen die beiden Kekse noch immer
unberührt auf dem runden Tablett, auf dem neben einem leeren ein noch
unberührter Becher mit kaltem Kaffee stand.

Kapitel
43
     
    Um
auch nur ein Viertel jener Laufstrecke zu bewältigen, die

Weitere Kostenlose Bücher