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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Dort
lenkte Morse, nachdem er eingestanden hatte, dass er sich — ein erstaunlicher
Aussetzer! — die Archers hatte entgehen lassen, die Ermittlung plötzlich
in eine Richtung, die Lewis womöglich noch erstaunlicher fand. «Fahren Sie mich
zum Haus der Holmes in Burford.»
    «Warum...», setzte Lewis mit
einem ergebenen Seufzer an.
    «Tun Sie, was ich sage.»
    Danach kam es nur noch zu einem
kurzen Wortwechsel. «Was halten Sie von Biffen, Sir?»
    «Er hat sich, wie die anderen,
fürs Märchenerzählen entschieden.»
    «Hm... ja... Sofern Mrs. Barron
mir die Wahrheit gesagt hat.»
    «Wahrscheinlich ist es sowieso
unwichtig.»
    Lewis wartete einen Augenblick.
«Aber was ist dann wichtig, Sir?»
    «Barron. Ich bin immer noch
nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass ich auf der falschen Fährte war,
aber...»
    «...aber es sieht so aus.»
    Morse nickte.
    «Was halten Sie von...»
    «Konzentrieren Sie sich auf den
Verkehr, Lewis! Formel-1-Fans sind sie hier nicht gewöhnt.»
     
    Hinter der Milchglasscheibe
tauchte ein verschwommener Schatten auf, dann öffnete ihnen eine blasse Frau um
die fünfzig mit dünnem Haar die Haustür, von der die letzten Reste eines grünen
Anstrichs blätterten.
    Lewis zückte seinen
Dienstausweis. «Mrs. Holmes?»
    Nach einem mehr als flüchtigen
Blick auf die Legitimation wendete die Frau geschickt ihren Rollstuhl und fuhr
ihren Besuchern voran durch die schmale Diele mit dem nackten Bretterboden.
Auch die Wände waren praktisch nackt, nur links an der Wand hing in einem
Rahmen etwas, das ein Bild sein mochte.
    «Geht’s um Roy?» Ihre Stimme
hatte den mutlos-nasalen Ton eines Anhängers von Birmingham City, dessen Team
soeben geschlagen worden ist.
    Im Wohnzimmer saß in einem
zerschlissenen Sessel ein Halbwüchsiger. Er rauchte eine Zigarette und trank
Bass-Bier aus der Dose. Seine Ohren waren mit Kopfhörern zugestöpselt.
    Er kam Morse irgendwie bekannt
vor, was ihn aber nicht daran hinderte, sofort eine intensive Abneigung gegen
den Jungen zu entwickeln, der sich weiter in seinem Sessel lümmelte und
hingegeben den lyrischen Ergüssen des neuesten Rap-Albums lauschte, bis er an
den Lippen von Morse sah, dass der Chief Inspector ihn ansprach.
    «Was?» Unmutig entfernte Roy
Holmes einen seiner Ohrstöpsel.
    «Warum bist du nicht selber an
die Tür gekommen? Deine Mutter könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen.»
    Der Junge maß Morse mit einem
frostig-feindseligen Blick. «Ey, kann doch nichts hören mit den Dingern da!»
    Kein Birmingham-Akzent, sondern
der gutturale Ton Oxfordshires mit seinen krausen Vokalen.
    «Die Polizei, Roy...», begann
seine Mutter.
    «Schon wieder? Ich war doch da
und hab meine Aussage gemacht, was wollen die denn noch? ‘n Unfall war’s, ich
hab alles gesagt, wies war.Was soll der Scheiß?»
    Morse behielt die Ruhe. «Wir
sind dir für deine Mitarbeit verbunden. Aber weißt du eigentlich, was du bisher
in deinem Leben zustande gebracht hast? Soll ich es dir sagen? Du bist der
ungehobeltste, rüpelhafteste Vierzehnjährige, den ich je...»
    «Fünfzehn ist er», warf Mrs.
Holmes ein, der offenbar mehr daran lag, das Geburtsdatum ihres Sohnes richtig
zu stellen als sein ungehobeltes Auftreten zu entschuldigen. «Am 26. März ist
er fünfzehn geworden. In der Zeitung haben sie das falsch geschrieben.»
    «Dann hat er also mit A. E.
Housman zusammen Geburtstag.»
    Schweigen.
    Morse wandte sich jetzt
unmittelbar an die Mutter. «Und in einem Jahr darf er rauchen und zwei Jahre
später auf ein Bier ins Pub gehen — falls er von Ihnen Taschengeld bekommt,
Mrs. Holmes. Denn so wie es jetzt um ihn steht, kann ich mir nicht vorstellen,
dass er bis dahin selber was verdient.»
    Lewis hatte schon die
verräterischen Zeichen der Drogenabhängigkeit in den Augen des Jungen entdeckt
und sah jetzt Hass darin aufblitzen, was bestimmt auch Morse nicht entgangen
war. Mrs. Holmes drehte jäh ihren Rollstuhl um und betrachtete Morse
angriffslustig.
    «Es war ein Unfall, so was kann
jedem mal passieren. Er hat’s nicht absichtlich gemacht, das hat er ja auch
gesagt. Er hat Ihnen doch alles erzählt, stimmt’s, Roy?»
    «Lass mich in Ruhe.»
    «Vielleicht wollten wir ja gar
nicht mit dir sprechen...»
    Über das Gesicht des Jungen zog
flüchtig ein Ausdruck der Ratlosigkeit, ja, fast der Besorgnis. Dann leerte er
die Bierdose, stand auf und ging.
    Sekunden später knallte die
Haustür so heftig zu, dass die Glasscheibe akut gefährdet war.
    «Wann kommt er wieder?»,

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