Und morgen am Meer
eröffnet, dass heute eine Warenlieferung kommen würde, da müsste ich dann Kisten schleppen und alles auspacken.
»Und dass du se mir nich durcheenander bringst. Paar alte Leutchen, die hier kommen, verlassen sich druff, dass ihre Zeitung am richtjen Platz liegt.«
Ich nickte dienstbeflissen und schielte auf die alten Zeitungen, die ich nachher noch bündeln musste, damit sie wieder zurückgeschickt werden konnten. Aha,
Bildzeitung
rechts,
taz
links,
Berliner Morgenpost
neben die
Bild
und so weiter.
»Na dann mach mal, muss mich um die Kunden kümmern.«
Kaum hatte sie das gesagt, bimmelte auch schon die Türglocke. Eine Frau in einem gepflegten dunkelroten Kostüm trat ein, auf dem Arm trug sie etwas, das wie ein großer Pelzhandschuh aussah, aber wohl ein Hund war.
Diese Frau hätte ich überall vermutet, aber nicht in diesem kleinen Kioskladen. Sie sah eher aus, als würde sie sonntags auf dem Ku’damm im Café Keese auf einen gut situierten Herrn warten.
»Ah, meene Kleene!«, rief Frau Kraushahn und streckte die Arme nach dem Fellknäuel aus. »Warste denn auch brav?«
Der kleine Hund winselte und leckte ihr über die Hand.
»Ja, die war sehr brav«, antwortete die Frau. »Hat keenen Mucks jemacht und jut gefressn.«
Aus dem Munde Frau Kraushahns kam nun ein Schwall von Koseworten, die mich dazu brachten, peinlich betreten auf die Zeitungen zu schauen und fleißig weiterzustapeln. Okay, der Hund gehörte nicht der Dame in Rot, sondern offenbar Frau Kraushahn.
Irgendwann hörte es dann auf, und da Frau Kraushahn ihren Hund nun von der Aufpasserin wiederhatte – offenbar war sie im Urlaub gewesen –, musste sie nur noch mich vorstellen.
»Schaun se mal, Frau Hacker, der Junge da hilft bei mir aus seit heut.«
»Na, Kleener, macht’s Spaß?«, fragte Frau Hacker, worauf ich mich aufrichtete und nickte. Sie sah mich ungläubig an. Na ja, Spaß war was anderes, aber ich tat es für Milena. Damit ich sie wiedersehen konnte, ohne ständig meinen Vater um Geld bitten zu müssen.
»Ja, er macht sich jut!«, sagte Frau Kraushahn, während sie den Hund auf dem Arm heftig streichelte. Das Tier schien es zu genießen, denn es stieß hin und wieder einen wohligen Laut aus. »Ick bin jedenfalls froh, dit ick ihn habe, kann ick mich mehr um meene Luzie kümmern.«
Da mir die Musterung durch Frau Hacker, die ein geblümtes Trägerkleid trug, unangenehm war, wandte ich mich den Zeitungen zu. Mittlerweile hatte ich die
Bild
schon an ihren angestammten Platz gebracht, die
Morgenpost
folgte.
Frau Hacker unterhielt sich noch eine Weile mit Frau Kraushahn, dann verabschiedete sie sich mit zwei Mettbrötchen aus dem Laden.
Frau Kraushahn sortierte die Münzen in die Kasse – weiterhin den Hund auf dem Arm – und kam dann zu mir.
»Dit is meene Luzie!« So, wie sie mir den Hund hinhielt, erwartete sie wohl, dass ich ihn streichelte.
Ich hatte es nicht so mit Hunden, seit mir als Kind mal ein Kläffer in die Hand gebissen hatte. Also hielt ich mich zurück. »Ick hab se ’nem Kerl abjenommen, der se über irgend ’ne Gartenmauer werf’n wollte.«
»Was?«, fragte ich verdattert. Wer warf einen Hund in irgendeinen wildfremden Garten?
»Entsorjen wollt’ er se! Kann man nich anders sagen. Hat dem armen Ding die Beene jebrochen und wollt se wegschmeißen wie’n Stück Dreck. Bin hin zu ihm und hab ihn jefracht, ob er noch alle hätte. Da is er abjehauen und hat se liejenjelassn. Ick hab se zum Tierarzt jebracht.«
Da staunte ich aber. Frau Kraushahn ging einfach zu einem Tierquäler, sagte ihm die Meinung und rettete einen kleinen Hund. Alle Achtung!
»Loofen kannse aber trotzdem nich mehr, die Brüche warn zu schwer«, fuhr sie fort. »Aber sie lebt und ick mache allet, damit es ihr jut jeht.«
Jetzt streckte ich meine Hand doch vorsichtig nach dem Hund aus und streichelte kurz über seinen Kopf. Luzie regte sich nicht.
»Ach, die is einjeschlafen!«, stellte Frau Kraushahn fest, nachdem sie den Hund kurz ein Stück näher an ihr Gesicht gehoben hatte. »Macht se immer, wenns anstrengend ist. Die letzten Tage hat se mir bestimmt vermisst. Aber die Hacker ist ’ne Seele von Mensch, die passt immer jut auf mein Mäuschen auf.«
Damit verschwand sie im Hinterzimmer, wo ich sah, wie sie den schlafenden Hund auf eine Decke legte und dann einen Napf in seine Reichweite stellte.
»Eens kann ick dir aber sagen, Junge!«, sagte sie, als sie wieder nach draußen kam und leise die Tür hinter sich zuzog. »Wenn
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