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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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haben. Aber ihm konnte ich es nicht aufbürden.
    Sabine … wer weiß, ob sie mit mir noch befreundet sein wollte, wenn herauskam, dass die Mutter ihrer Freundin in den Westen geflohen war und damit in ihren Augen genauso eine Landesverräterin war wie die Leute, die den Weg über Ungarn genommen hatten.
    Papa und Mirko schieden von vornherein aus, und Claudius …
    Was, wenn er herkam, wenn ich ihm nicht mehr schrieb? Immerhin kannte er meine Adresse …
    Schlagartig versiegten meine Tränen. Was, wenn nun unser Haus beobachtet wurde? Wenn sie erkannten, dass der Junge, der mit mir sprechen wollte, aus dem Westen war? Wenn sie ihn verhafteten?
    Diese Gedanken schossen wie heißes Wasser durch meinen Körper. Ich musste ihn warnen, aber wie? Wenn noch einmal ein Brief von ihm ankam und der nicht von der Stasi abgefangen wurde, konnte ich ihm unmöglich zurückschreiben, dass er sich hier nicht mehr blicken lassen sollte. Den Brief würden sie unweigerlich einkassieren.
    Meine trauernde Starre war auf einmal wie weggeblasen und ich begann, ruhelos im Zimmer herumzulaufen. Wie sollte ich ihn bloß warnen, wie?
    Wieder klopfte es an meine Tür. Hatten sie mitbekommen, dass ich herumlief? Ich erstarrte, als wäre es plötzlich verboten, durch mein Zimmer zu rennen.
    Vor der Tür meinte ich Mirko atmen zu hören, doch er setzte sich wiederum nicht über mein Schweigen hinweg und blieb draußen.
    Dafür verspürte ich jetzt ganz furchtbare Angst. Nicht um mich, sondern dass Claudius irgendwas passieren könnte.
    Ich musste ihm einen weiteren Brief schreiben! Unbedingt!
Claudius
    Ich rannte, als ginge es um mein Leben. Der zerfledderte Brief in meiner Tasche fühlte sich an, als stünde er in Flammen, und trieb mich immer weiter voran. Ich musste Milena warnen! Ich musste ihr sagen, dass sie vorsichtig sein musste. Etwas anderes ging mir in diesen Augenblicken nicht durch den Kopf. Ich wollte sie nur finden, sie sehen, sie sprechen. Ich wollte ihr sagen, dass ich auch ohne Briefe ständig an sie denken würde. Nur kein Risiko eingehen, nicht jetzt!
    Eigentlich hätte ich schon viel früher kommen wollen, wusste aber nicht, wo ich die dreißig Mark für den Grenzübergang herbekommen sollte. Da ich meine Eltern nicht fragen wollte, fuhr ich kurzerhand zu Max und pumpte ihn an. Das breite Grinsen und die Bemerkung, dass ich es ja ganz schön eilig hätte, um zu meiner Liebsten zu kommen, war ihm eingefroren, als ich ihm den Brief gezeigt hatte.
    »Ach du scheiße«, war seine Reaktion auf meine Vermutung, dann war er ganz blass um die Nase geworden, denn ihm fiel nun wieder seine verhaftete Verwandtschaft ein, die noch immer nicht wieder freigekommen war. Letztlich gab er mir die dreißig Mark und ich fuhr los.
    Allerdings hatte ich dann auch noch an der Grenze Pech, wo die Schlange endlos war. Bis ich dann endlich in den Zug in Richtung Alex springen konnte, waren drei Stunden vergangen.
    Und nun rannte ich. Rannte die Schönhauser Allee hoch und bog dann in die Wichertstraße ein.
    Als ich an ihrem Haus ankam, war es bereits Abend. Ein paar Kinder spielten noch auf der Straße, die Erwachsenen waren aber schon größtenteils verschwunden. Nicht mehr lange und die Wichertstraße würde vollkommen verlassen sein.
    Ich fragte mich, ob es gut wäre zu klingeln und mich als Schulkamerad von Milena vorzustellen. Aber diese Idee verwarf ich gleich wieder. Ihr Vater kannte die Jungs aus ihrem Umfeld sicher und ich sah auch viel zu westdeutsch aus, als dass er mir den Schulkameraden abkaufen würde. Nein, ich wollte Milena allein sehen. Ohne dass jemand an ihrer Tür horchte.
    Da ich niemanden auf dem Balkon sah und wusste, dass dahinter das Wohnzimmer war, hob ich einen Kiesel auf und warf ihn gegen das kleine Fenster, das zu ihrem Zimmer gehören musste. Würde sie sich blicken lassen? Würde sie es schaffen, sich rauszuschleichen, ohne dass jemand etwas mitbekam?
    Da sich beim ersten Steinchen noch niemand zeigte, warf ich kurzerhand einen zweiten und einen dritten. Schlief sie vielleicht schon? Oder saß sie im Wohnzimmer und sah mit ihrem Vater fern? Dann hatte ich natürlich Pech und musste noch eine Weile warten.
    Was die Leute hier wohl dachten, wenn jemand vor ihren Häusern herumlungerte?
    Dann hörte ich von oben ein Quietschen. Das Fenster wurde geöffnet und ein Haarschopf erschien. Im letzten Abendlicht wirkten die Strähnen dunkel, doch kein Zweifel, das war sie!
    Kurz blickte sie nach unten, dann, bevor ich etwas

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