Und morgen am Meer
Feuchtes.
Erschrocken zog ich die Hand zurück. Im Straßenlampenschein entdeckte ich etwas Dunkles an meinen Fingerspitzen, von dem ein metallischer Geruch ausging.
»Du blutest!«
Claudius senkte den Kopf, als hätte ich ihn bei irgendwas ertappt.
»Was ist passiert, warum blutest du?« Meine Stimme überschlug sich. Rasch zog ich ihn ins Wohnzimmer, zerrte die schweren Vorhänge mit dem Rautenmuster vor das Fenster und bugsierte ihn dann weiter in den Raum hinein.
Der Gedanke, dass wir von Stasileuten beobachtet werden könnten, erschien mir noch immer ein bisschen lächerlich, doch seitdem ich das Gespräch mit dem Mottenkugelmann geführt hatte, war ich sicher, dass sie ein Auge auf uns hatten.
Wie ich es aus den James-Bond-Filmen kannte, stellte ich sicher, dass Claudius’ Schatten nicht gegen den Vorhang fiel, bevor ich zum Lichtschalter lief.
Als ich das Licht anknipste, erschrak ich so sehr, dass ich zurücksprang und mir den Ellbogen am Türgriff anschlug. Claudius war von Kopf bis Fuß schwarz, seine Jacke abgeschabt, und das Blut klebte nicht nur in seinem Haar, sondern auch an seiner Wange.
»Ich wollte zu dir«, sagte er mit einem verlegenen und gleichzeitig erleichterten Lächeln.
»Haben sie dich erwischt?« Ich lief zu ihm und berührte vorsichtig sein Haar. Wie verband man eine Kopfwunde? Wo hatte Papa das Jod? Waren Stasileute hinter ihm her? War er vor ihnen geflohen wie James Bond vor den Handlangern von Dr. No?
Die Vorstellung hätte mich stolz machen können, aber jetzt tobte in mir nur die Sorge.
Claudius schüttelte den Kopf, griff dann nach meiner Hand. »Nein, zum Glück nicht.«
»Und warum siehst du so aus?«
»Erinnerst du dich noch daran, dass Lorenz mit mir gesprochen hat?«
»Er hat dir den Zugang zum U-Bahn-Tunnel gezeigt.«
Mein nächster Gedanke war ein Schlag ins Gesicht. Ich schlug die Hand vor den Mund.
»Du bist doch nicht etwa …«
Claudius nickte.
»Aber wie?« Kopfschüttelnd sah ich ihn an. Nachträgliche Angst biss in meinen Magen.
»Lange Geschichte.« Wieder dieses entwaffnende Lächeln.
»Dann komm erst mal mit, damit ich mir deine Verletzung ansehen kann.« Ich zerrte ihn beim Ärmel in die Küche.
»Warum bist du eigentlich auf den Balkon geklettert?«, fragte ich, während ich das kleine, schief hängende Schränkchen nach Jod durchsuchte.
Claudius setzte sich auf einen der Küchenstühle. »Weil ich dachte, dass dein Vater da ist.«
»Ist er nicht«, gab ich zurück. »Du hättest die Tür nehmen können. Mein Vater ist nicht da.«
»Woher sollte ich das denn wissen? Ich kann dich ja leider nicht anrufen und fragen.«
Ja, in der Hinsicht waren die Mädchen auf der anderen Seite wohl pflegeleichter.
»Entschuldige«, sagte ich und strich vorsichtig sein Haar zur Seite. Das Blut war beinahe getrocknet. Nur die Wunde selbst war vom Schweiß daran gehindert worden, sich zu schließen.
Als ich mit dem jodgetränkten Lappen darübertupfte, zuckte er zusammen und verzog das Gesicht.
»Wobei ist das passiert?«, fragte ich und sah ihm in die Augen. Diese unglaublichen braunen Augen!
»Ich bin mit dem Kopf gegen die Wand geknallt, als ich aus der Bahn gesprungen bin.«
Ich schnappte nach Luft und konnte nicht glauben, was er eben gesagt hatte.
»Du bist aus der fahrenden U-Bahn gesprungen?«
Er nickte. »Als ich mit Lorenz den Zugang zum Schacht angeschaut habe, hatte ich mir gemerkt, ab welcher Stelle die Bahn abbremst. Daran hatte ich auch erkannt, wann ich springen musste.«
Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter. Hatte Lorenz Claudius denn nicht davor gewarnt, dass die Grenzer auf ihn schießen konnten? Hatte er das absichtlich gemacht, damit sie ihn erwischen und er mich nicht mehr sehen konnte?
Auf einmal packte mich unbändige Wut auf ihn. Sein Gerede hätte Claudius das Leben kosten können!
»Und die Grenzer haben dich nicht bemerkt?« Die Angst, die ich im Nachhinein um ihn hatte, ließ meine Stimme klein und schwach erscheinen.
»Wäre ich sonst hier? Ich bin an einer günstigen Stelle raus. Der Zug hat so viel Krach gemacht, dass sie mich gar nicht gehört haben.«
»Und die Leute im Zug?« Hatte denn niemand versucht, ihn abzuhalten?
»Die haben wohl geglaubt, dass ich mich umbringen wollte. Ein Spaß ist es nicht, aus einem fahrenden Zug zu springen, auch nicht, wenn der nur 25 Sachen draufhat, das kannst du mir glauben. Es kommt einem irre schnell vor und die Nachbargleise sind verdammt hart, wenn man darauf landet.
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