Und morgen in das kühle Grab
morgen finden, vielleicht sogar
erst übermorgen. Das gab ihm genug Zeit, um die anderen
zu kriegen.
Er fand Mrs. Morgans Handtasche und nahm ihre
Wagenschlüssel und das Portemonnaie an sich. Es enthielt
einhundertsechsundzwanzig Dollar. »Vielen Dank,
Mrs. Morgan«, sagte er, als er auf sie hinunterschaute.
»Jetzt kann Ihr Sohn das ganze Haus für sich haben.«
Er fühlte sich ruhig und mit sich selbst im Reinen. In
seinem Kopf hörte er eine Stimme, die ihm sagte, was er
zu tun habe: Ned, steig in den Van und stell ihn irgendwo
ab, wo sie ihn nicht so schnell finden werden. Nimm dann
den Wagen von Mrs. Morgan, ihren netten, sauberen,
schwarzen Toyota, der überhaupt nicht auffällt.
Eine Stunde später fuhr er im Toyota los. Er hatte den Van
auf dem Parkplatz des Krankenhauses abgestellt, wo sich
niemand etwas dabei denken würde. Sieben Tage in der
Woche herrschte dort ein ständiges Kommen und Gehen.
Dann war er zu Fuß zurückgelaufen, hatte zum
Obergeschoss des Hauses hochgeschaut und ein gutes
Gefühl gehabt, als er an Mrs. Morgan dachte. An der Ecke
kam er vor der roten Ampel zum Stehen. Im Rückspiegel
beobachtete er, wie ein Wagen vor dem Haus hielt, dann
sah er, wie die beiden Beamten ausstiegen. Sie wollten
wieder zu ihm, um mit ihm zu reden, dachte Ned. Oder um
ihn zu verhaften.
Zu spät, dachte Ned, als die Ampel auf Grün sprang und
er den Wagen nach Norden lenkte. Alles, was er tat, tat er
für Annie. Im Andenken an sie wollte er zur Ruine des
Herrenhauses fahren, das ihn einst hatte davon träumen
lassen, Annie eines Tages ein ebensolches Haus zu
schenken. Der Traum war am Ende zu einem Albtraum
geworden, der sie das Leben gekostet hatte, deshalb hatte
er das Haus vernichtet. Während der ganzen Fahrt hatte er
das Gefühl, sie säße neben ihm. »Siehst du, Annie«, würde
er zu ihr sagen, wenn sie vor dem zerstörten Herrenhaus
anhielten, »siehst du, jetzt bin ich mit denen quitt. Dein
Haus ist weg. Ihr Haus ist weg.«
Dann würde er nach Greenwood Lake fahren, wo er und
Annie sich von den Harniks und von Mrs. Schafley
verabschieden würden.
37
AUF DER HEIMFAHRT von Pleasantville hatte ich das
Radio eingeschaltet, aber ich achtete überhaupt nicht auf
das, was gesagt wurde. Ich wurde den Verdacht nicht los,
dass mein angekündigter Besuch im Büro von Gen-stone
der Auslöser für die plötzliche Entscheidung gewesen war,
die Firma zu schließen. Außerdem hatte ich das Gefühl,
dass Lowell Drexel möglicherweise etwas mit Charles
Wallingford zu besprechen gehabt hatte, dass er aber auch
deshalb da gewesen war, damit er mich ein bisschen unter
die Lupe nehmen konnte.
Es war pures Glück gewesen, dass Betty, die Angestellte
am Empfang, erwähnt hatte, dass Laura, eine der jungen
Frauen, die sich um die Post kümmerten und die
Formbriefe verschickten, die Nichte von Dr. Kendall war.
Wenn sie nun diejenige gewesen war, die Caroline
Summers’ Brief hatte beantworten sollen, dann stellte sich
die Frage, ob sie ihn vielleicht so interessant gefunden
hatte, dass sie Dr. Kendall davon erzählte?
Aber selbst wenn sie das getan haben sollte, warum hätte
sie den Brief nicht beantworten sollen? Das Unternehmen
hatte es sich zur Richtlinie gemacht, auf sämtliche
eingehenden Briefe zu antworten.
Vivian hatte gesagt, dass Nick Spencer seine Termine
nicht mehr im Kalender notierte, nachdem er erfahren
hatte, dass die Aufzeichnungen seines Vaters gestohlen
worden waren. Wenn er und Vivian sich so nahe standen,
wie die Leute in der Firma glaubten, dann fragte ich mich,
warum er ihr nichts von seinen Sorgen erzählt hatte.
Hatte er ihr nicht voll vertraut?
Das wäre eine neue, interessante Möglichkeit.
Oder wollte er sie durch sein Schweigen schützen?
»Vivian Powers wurde in einer …«
Plötzlich merkte ich, dass ihr Name im Radio genannt
wurde. Ich drehte die Lautstärke auf und lauschte der
Meldung mit wachsendem Entsetzen. Vivian war im
Wagen ihrer Nachbarin gefunden worden, bewusstlos,
aber lebend. Der Wagen war in einem bewaldeten Gebiet,
etwas abseits der Straße abgestellt worden, nur eine Meile
von ihrem Haus in Briarcliff Manor entfernt. Man
vermutete, dass sie versucht hatte, sich das Leben zu
nehmen. Auf dem Beifahrersitz hatte man ein leeres
Pillenfläschchen entdeckt.
Mein Gott, dachte ich. Sie war irgendwann zwischen
Samstagabend und Sonntagmorgen verschwunden. War es
möglich, dass sie die ganze Zeit in dem Auto
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