Und plötzlich warst du wieder da
sich los und sprang von der Couch auf. Nadia wollte ein paar Schritte zurückweichen, stolperte aber über etwas und wäre gefallen, wäre Lucas nicht ebenso schnell auf den Beinen gewesen wie sie. Sanft hielt er sie am Ellenbogen fest. Das war nun schon das zweite Mal, dass sie seinetwegen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Gleichgewicht geriet. Deutlicher konnte eine Warnung nicht sein.
Nadia wandte sich ab. Sie brachte es nicht fertig, ihm in die Augen zu sehen. Darum bückte sie sich und griff nach der Handtasche, die sie fast zu Fall gebracht hätte. Nachdem sie sie auf den niedrigen Couchtisch gestellt hatte, ging Nadia mit schnellen, festen Schritten zur Haustür und zog sie auf.
„Ich will das nicht, Lucas“, sagte sie in scharfem Ton. „Bitte, geh jetzt.“
„Du willst es genauso wie ich“, entgegnete er heiser. Einen Augenblick lang herrschte unbehagliches Schweigen. Dann sagte er leichthin, als ob nichts gewesen wäre: „Wir sehen uns also morgen. Gute Nacht, Nadia, schlaf gut.“
Als sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sackte Nadia förmlich in sich zusammen. Sie war froh, dass er nicht versucht hatte, sie umzustimmen. Denn sie war sich nicht sicher, ob sie standhaft geblieben wäre.
Dieser Zustand, diese Ehe, das alles musste dringend und so schnell wie möglich beendet werden. Nadia konnte dabei nur verlieren. Sie musste sich immer wieder vor Augen führen, dass Lucas sich mit Everett Kincaids Geld hatte kaufen lassen und sie verraten hatte.
„Entschuldigen Sie bitte …“
Die gedämpfte Stimme ließ Nadia von den Modemagazinen aufblicken, die sie vor sich auf dem Tisch der Bücherei liegen hatte. Eine zierliche, schon leicht ergraute Frau um die fünfzig stand neben ihr. Ihre Lesebrille baumelte an einer Perlenschnur.
„Entschuldigen Sie, sind Sie nicht Nadia Kincaid?“
Nadia zögerte einen Augenblick, dann überwand sie ihr Misstrauen und antwortete: „Ja, das bin ich.“
Sie war an diesem Freitag für jede Ablenkung dankbar. Denn am Abend sollte ihr Bruder Mitch heiraten, und Nadia konnte – dank des dreimal verfluchten Testaments – nicht dabei sein. Als Trost hatte Rand ihr versprochen, ihr eine Videoverbindung über das Internet herzustellen, sodass sie die Trauungszeremonie wenigstens aus der Ferne verfolgen konnte. Bei der Gelegenheit würde Nadia Mitchs neue Frau endlich einmal zu Gesicht bekommen.
„Ich bin Mary Branch, die Leiterin dieser Bücherei. Wissen Sie …“ Sie beugte sich etwas vor, um vertraulicher mit Nadia sprechen zu können. „… ich habe über Sie in der Zeitung gelesen.“
Nadia zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hatte in der Vergangenheit keine allzu gute Presse gehabt, konnte sich aber nicht entsinnen, in den letzten Monaten mit irgendeinem Reporter gesprochen zu haben. Trotzdem bereitete Nadia sich innerlich darauf vor, gleich hinauskomplimentiert zu werden.
„In dem Artikel stand, dass Sie sich letztes Frühjahr so fantastisch bewährt haben, als es darum ging, Spenden für früh geborene Babys zu sammeln. Ich habe gelesen, Sie hätten alle Rekorde gebrochen.“
„Ja, das stimmt.“ Nadia war erleichtert und sogar ein wenig stolz. Sie hatte mit Erfolg ihre Kenntnisse und ihre Kontakte genutzt, um für eine Benefizveranstaltung sehr rare und begehrte Versteigerungsartikel zu ergattern. Sie war sehr engagiert bei der Sache gewesen, denn es lag ihr daran, dass diese Babys eine Chance bekamen, nachdem sie ihr eigenes verloren hatte.
„Es war auch ein Foto von Ihnen abgedruckt. Deshalb habe ich Sie wiedererkannt. Die Sache ist nun die: Unsere Bücherei steckt gerade mitten in der Vorbereitung für ein großes Event, um Spenden zu sammeln. Aber die Frau, die das organisieren sollte, hat Knall auf Fall ihr Amt niedergelegt. Nun, und da ich Sie nun schon einige Male bei uns gesehen habe, habe ich mich gefragt, ob Sie uns vielleicht ein paar Tipps geben oder sonst wie aus der Verlegenheit helfen könnten. Ich weiß ja nicht, wie lange Sie vorhaben, in Dallas zu bleiben … Wir sind sehr in Bedrängnis, weil wir die Kampagne nicht mittendrin abblasen können. Andererseits bestreiten wir durch die Spenden den größten Teil unserer Neuanschaffungen und unseres Programms.“
Nadia horchte auf. Aufgaben wie diese, sich mit Kreativität für einen guten Zweck einzusetzen, das war genau, was sie suchte. „Wann soll dieses Event denn stattfinden?“
„In drei Wochen.“
Nicht sehr viel Zeit. Das sah nach einer echten Herausforderung aus.
Weitere Kostenlose Bücher