Und plotzlich ist es Gluck
geliefert wurde. Lächerlich, ich weiß, aber der Gedanke hält sich hartnäckig.
Das Top hat vorn Kräuselfalten und ist in verschiedenen Rosa-Tönen gehalten, bei denen ich an Sofia Marzonis Hochzeit denken muss. Ich ziehe es gleich an und gehe in die Garage, um ein wenig mit meinem alten Basketball zu experimentieren. Er passt perfekt unter das Top. Ich betrachte mich von allen Seiten und bemerke gar nicht, dass Phyllis hereinkommt, so gefesselt bin ich von meiner neuen Silhouette.
»Scarlett! Was zum Teufel treibst du denn da?«
»Ich habe nur …« Ich verstumme.
»Probierst du etwa aus, wie es ist, hochschwanger zu sein?« Sie mustert mich, als wollte sie sichergehen, dass ich es bin und nicht jemand, der sich als Scarlett O’Hara ausgibt.
»Naja, ausprobieren ist zu viel gesagt … Ich wollte bloß …«
Phyllis tätschelt mir den Arm. »Keine Sorge, Scarlett, das machen alle Schwangeren.«
»Im Ernst?«, frage ich erleichtert.
»Also gut, vielleicht nicht alle. Aber ich erinnere mich, dass deine Mutter es getan hat, als du unterwegs warst.« Da ich mein ganzes Leben lang stets bemüht war, nicht so zu werden wie meine Mutter – oder mein Vater –, finde ich diese Neuigkeit nicht gerade sehr vielversprechend. Ich lasse den Ball auf den Boden fallen und dribble ihn in Richtung Phyllis.
Sie ist schon an der Tür, da dreht sie sich noch einmal um und sieht mich an. »Heute ist der große Tag, nicht?« Ich nicke, und sie lächelt. »Ich werde an dich denken«, verspricht sie. »Und an Klein Ellen dort drin.« Sie deutet auf meinen echten Bauch, der sich verglichen mit der prallen Pracht des Basketballs noch ziemlich mickrig ausnimmt.
Ich gehe spontan auf Phyllis zu, beuge mich zu ihr hinunter und umarme sie. Ihr drahtiges weißes Haar kitzelt meine Wange. Sie riecht nach Sommer, nach Erde und Sonnenschein.
»Wirst du wohl aufhören«, rügt sie mich, drückt mich aber kurz an sich, ehe sie sich von mir losmacht.
38
Ich sitze im Korridor vor der Ultraschallabteilung und sehe zum wiederholten Mal auf meine Armbanduhr. Es ist nicht halb zehn, auch nicht fünf vor halb. All meinen Bemühungen zum Trotz bin ich um kurz vor neun angekommen, und obwohl ich sogar noch im Café war, um einen Kuchen zu essen und eine Tasse heiße Schokolade zu trinken, ist es trotzdem erst sechzehn Minuten nach neun. Ich hebe den Kopf, wann immer die Tür am oberen Ende des Korridors aufgeht, wobei ihre rostigen Scharniere jedes Mal schrecklich knarren und ächzen.
»Verzeihung, können Sie mir verraten, wie spät es ist?« Der Bauch der Frau steht waagrecht hervor wie ein Segel im Sturm. Sie geht, wie alle Hochschwangeren gehen – breitbeinig, den Oberkörper nach hinten geneigt, eine Hand ins Kreuz gestemmt. Ihr Schlafanzug und ihr Morgenmantel sind nagelneu, sichtlich eben erst aus der Verpackung befreit, scharfe Bügelfalten zieren die Hosenbeine. Unmittelbar vor mir bleibt sie stehen, umklammert die Kante einer Fensterbank, stützt sich schwer darauf wie auf eine Krücke. Sie atmet tief durch, bläst die Wangen auf und lässt dann die Luft ganz langsam durch den Mund entweichen, wobei sie einen zischenden Laut von sich gibt, wie ein Fahrradreifen, der ein kleines Loch hat.
»Ich bräuchte die genaue Uhrzeit, wenn es geht.« Da ist sie bei mir ja an der Richtigen.
»Es ist …« – Ich hebe den Arm und werfe pro forma
einen Blick auf meine Uhr – »… einundzwanzig Minuten nach neun«, sage ich. »Und fünfunddreißig Sekunden. Sechsunddreißig. Siebenunddreißig. Achtunddreißig.«
»Äh, schon gut, danke. Die Minuten reichen mir. «
Sie lächelt mich an. Dann wird aus dem Lächeln urplötzlich eine Grimasse. Sie kneift die Augen zu und verzieht die Gesichtsmuskeln, als würde sie Todesqualen durchleiden. Dazu stößt sie einen primitiven Laut hervor, der so bizarr klingt, als würde er gar nicht von ihr stammen. Es ist kein Stöhnen oder Grunzen, eher ein tiefes Knurren, wie Donnergrollen.
Ich springe auf und blicke panisch nach rechts und links. »Äh … Hilfe!«, rufe ich, doch es ist niemand im Korridor außer uns.
»Was ist denn los, Schätzchen?« Die Frau richtet sich auf und mustert mich lächelnd, als wäre nichts geschehen.
»Ich … ich dachte …«
»Das war nur eine Übungswehe. Kein Grund zur Besorgnis. «
»Soll das heißen … das war noch gar keine richtige Wehe? «
»Gott, nein, das hier war eine Kleinigkeit gegen eine echte Wehe.«
Ich sinke geschockt auf meinen Stuhl und spüre
Weitere Kostenlose Bücher