Und plotzlich ist es Gluck
Rauchschwaden im Wind. »Es gibt da einen pränatalen Vaterschaftstest …«
Darüber habe ich auch schon nachgedacht.
»Ich möchte lieber bis nach der Geburt warten«, sage ich.
»Aber ich würde den Test gern schon vorher machen. Auf diese Weise wissen wir alle, was Sache ist, und können entsprechend planen.«
In meinem alten Leben hätte ich das auch gewollt. Ich erhebe mich und gehe zum Fenster. Draußen lässt allmählich die Hitze etwas nach.
»Es ist eine einfache Untersuchung«, fährt John fort. »Ich habe das im Internet recherchiert.«
Ich drehe mich zu ihm um. »Es ist ein riskanter invasiver Eingriff, John. Man muss dafür mit einer Nadel eine Gewebeprobe der Plazenta entnehmen.«
»Es wird schon nichts schiefgehen.«
Jetzt wäre wohl der richtige Zeitpunkt, um ihm von dem zweiten Baby zu erzählen. Dem, das ich verloren habe. Ich presse die Handflächen auf meinen Bauch und schließe die Augen. Ich will das Schicksal nicht herausfordern. Ellen soll gesund zur Welt kommen, ehe ich sie irgendwelchen Tests unterziehe. Ich habe keine Ahnung, wie ich John all das erklären soll.
Sein Telefon klingelt. Nach dem vierten Klingeln geht er ran. »Ah, Lolita, hallo. Wie geht’s?« Er nickt mir zu, ehe er das Wohnzimmer verlässt und die Tür hinter sich schließt. Blue streckt sich und rollt sich dann in der warmen Kuhle, die John hinterlassen hat, zusammen. Ich nehme das Buch zur Hand, das Maureen gerade liest – Das Handbuch für glamouröse Großmütter – und blättere darin.
Lolita. Mir wird klar, dass ich seit meinem ersten Anruf bei John nicht mehr an sie gedacht habe. Die kehlige
Heiserkeit ihrer Stimme. Juan ist in der Dusche. Eine Frau sollte es nicht einfach vergessen, wenn eine andere Frau das über ihren Freund sagt. Okay, ihren Ex-Freund. Ich schiebe es auf Ellen, so wie ich in letzter Zeit alles, was untypisch für mich ist, auf Ellen schiebe. Ich denke an Red Butler. Er hat kein einziges Mal von einem pränatalen Vaterschaftstest gesprochen. Zugegeben, er weiß vermutlich nicht einmal, dass es so etwas gibt. In Sachen Internet ist er nicht sonderlich bewandert.
Ich sollte nicht an Red Butler denken, sondern an Lolita. Ich sollte mich fragen, wer zum Teufel sie eigentlich ist und warum sie John um diese Zeit noch anruft. Gut, so spät ist es noch gar nicht. Ich sehe auf die Uhr. Halb neun. Wenn ich mich dazu aufraffen könnte, würde ich aufgebracht im Wohnzimmer auf und ab laufen, doch die Strahlen der Abendsonne, die durch die Fenster hereinfallen, nageln mich regelrecht auf der Couch fest. Die Wärme und das Essen und Blues Kopf auf meinem Schoß sorgen dafür, dass sich mein ganzer Körper bleischwer anfühlt, und dann ist da noch Ellen, die nun reglos in mir ruht, mit einem Lächeln auf den Lippen. Jedenfalls stelle ich mir vor, dass sie lächelt.
Wir sind beinahe eingenickt, als John zurückkommt. Zumindest habe ich die Augen geschlossen. Blue und Ellen schlafen tief und fest.
»Entschuldige, Scarlett. Ich weiß, Lolita ist damals, als du mich das erste Mal angerufen hast, an mein Telefon gegangen. Ich kann mir vorstellen, was du denkst, aber ich schwöre dir, da läuft nichts zwischen uns. Wir sind bloß befreundet, das ist alles«, stößt er hastig hervor. Er lässt sich neben mir auf der Couch nieder und sieht auf mich hinunter. Er wirkt besorgt. Er beißt sich auf die Unterlippe und entblößt dabei die obere Zahnreihe. Die Zahnspange hat er ganz vergessen.
Er umklammert meine Finger. Obwohl es so warm im Zimmer ist, hat er kalte Hände. »Du glaubst mir doch, nicht wahr, Scarlett?«
Ich nicke, dabei weiß ich gar nicht, ob ich ihm tatsächlich glaube. Doch das beunruhigt mich nicht sonderlich. Beunruhigend finde ich bloß die Tatsache, dass mich der Gedanke an Lolita längst nicht so beunruhigt, wie man eigentlich annehmen würde.
41
Als ich am darauffolgenden Montagmorgen an der Rezeption vorbeigehe, erwähnt Hailey mit keinem Wort ihre Fähigkeiten als Wahrsagerin oder den bevorstehenden Ausflug mit Sofia Marzoni, und auch George Michael oder Andrew Ridgeley kommen nicht zur Sprache. Hailey sieht kein bisschen anders aus als sonst und bildet mit ihrer gelassenen Art wie gewohnt einen wohltuenden Gegenpol zu dem Durcheinander, das eine Etage höher meistens herrscht.
Wie immer nicke ich ihr zu, während ich sie passiere, und wie immer nickt sie zurück. Ich bin schon fast an der Treppe, da kehre ich noch einmal um. Hailey sieht mir entgegen und wartet einfach ab,
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