Und plotzlich ist es Gluck
zu dem man Granny sagen kann.«
»Du hast nie Granny zu mir gesagt«, bemerkt sie.
»Ich weiß, aber ich fände es trotzdem schön.«
Sie nickt und widmet sich wieder den Erbsen, doch die zwei kreisrunden roten Flecken auf ihren Wangen verraten mir, dass sie sich freut. »So, und jetzt raus in den Garten mit dir, Kindchen.« Sie wedelt mit beiden Händen. »Mal sehen, wie dir das süße Nichtstun bekommt.«
Ich stehe auf und gehe zur Tür.
»Scarlett?« Ich wende mich zu ihr um. Phyllis steht mit dem Rücken zu mir und schiebt umständlich die leeren Erbsenschoten zusammen. »Ich bin sicher, du wirst eine
tolle Mutter«, sagt sie. »Ellen kann sich glücklich schätzen. « Als sie sich umdreht, sind ihre Augen verdächtig feucht, und ihre Gesichtsmuskeln zucken heftig.
Ich habe Phyllis erst ein einziges Mal weinen sehen, nämlich als sich der irische Boxer Barry McGuigan 1985 beim Kampf gegen Eusebio Pedroza den Weltmeistertitel im Federgewicht geholt hat. Phyllis liebt Boxen. Und Barry McGuigan. Sie nennt ihn »Bas«.
»Danke, Phyllis.« Meine Stimme wackelt und torkelt und geht zu Boden, und dann verschwimmt alles vor meinen Augen und dicke Tränen kullern über meine Wangen.
»Komm her zu mir, du Dummerchen.« Phyllis versucht, ihre Contenance wiederzuerlangen, doch ihre Umarmung ist warm und weich, und wir stehen noch eine ganze Weile aneinandergelehnt da. Sie riecht nach Erbsen und Hühnern und wildem Knoblauch.
Der Liegestuhl knarzt, als ich mich darauf niederlasse, der Stoff ist warm von der Sonne. Ich schmiege mich hinein, reibe mir den Bauch und singe Ellen das irische Volkslied vom Entenschenkel vor, das Phyllis mir immer vorgesungen hat, als ich ein Baby war. Es heißt »The Leg of a Duck« und ergibt eigentlich keinen Sinn, denn der Text beschränkt sich auf »Oh, the leg of a duck and the leg of a duck and the leg of a duck«. Aber die Melodie geht ins Ohr, und Phyllis bezeichnet das Lied wegen seiner unheimlich beruhigenden Wirkung auf Babys als »Wunderwaffe«.
Selbst mein Gesang klingt träge. Tiefer, schwerfälliger, gemächlicher als sonst. Ich fühle mich benommen, wie in Watte gepackt. Ich warte, und zum ersten Mal in meinem Leben versuche ich nicht, die Zeit möglichst rasch zu überbrücken. Ich warte – und genieße es.
50
Es ist Filly, die mich aus meiner herrlichen Lethargie reißt. Sie spürt, dass mein Anker über den Meeresboden schleift, statt sich gegen die kräftige Strömung namens Sofia Marzoni zu stemmen.
Sie betritt mein Büro mit dem üblichen »Morgensorryfürdieverspätung«, zwei Bechern Kakao, einem getoasteten Sandwich mit Huhn, Speck und Vegemite (für sich selbst) und einem Marmite-Sandwich (für mich). Mein Verlangen nach Oliven ist einem seltsam langlebigen Gusto auf Marmite gewichen.
»So«, sagt sie, nachdem sie ihr Frühstück in unter drei Minuten hinuntergeschlungen hat (ich habe mitgestoppt), »deine Auszeit ist vorbei.«
»Was denn für eine Auszeit?«, frage ich entrüstet.
Sie versucht es andersrum. »Okay«, sagt sie. »Was hast du diese Woche gemacht?«
Zu meiner eigenen Verblüffung muss ich über ihre Frage nachdenken. Ich starre ins Leere, wie man es von Menschen kennt, die versuchen, sich an etwas zu erinnern. Vergeblich. Mir fällt nichts ein.
Ich konsultiere meinen BlackBerry. »Ich hatte einen Termin …«
»Nein«, sagt Filly. »Etwas, das nichts mit Ellen zu tun hat.« Sie wischt sich die Hände an einem rosaroten Stück Stoff ab, das Sofia als Muster für die Kleider der Blumenmädchen hiergelassen hat.
»Ich hatte so einiges zu tun«, echauffiere ich mich und wackle mit der Computermaus, um den Eindruck von Geschäftigkeit zu vermitteln.
Filly leert ihren Becher. »Und hör gefälligst auf, Backgammon zu spielen.« Sie hat einen Kakaoschnurrbart.
»Woher weißt du …?« Ich schließe das Spiel. Schade, wo ich gerade im Begriff war, Dave aus der IT-Abteilung eine Lektion zu erteilen.
»Dave hat mir erzählt, dass ihr euch schon die ganze Woche duelliert und dass er gerade im Begriff ist, dich haushoch zu besiegen.«
»Unverschämtheit«, schnaube ich empört. Dabei hatte ich es ihm leichtgemacht!
»Wie dem auch sei, es geht hier doch um etwas ganz anderes, richtig?«, fragt Filly.
Ich habe keine Ahnung, was sie meint, also warte ich ab, bis sie mich aufklärt.
»Es geht darum …« Sie mustert mich prüfend, um sicherzugehen, dass ich ihr auch wirklich zuhöre und nicht wieder in meine wundervolle Benommenheit
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