Und plotzlich ist es Gluck
ist. Er wirkt lebhafter, lustiger, geistreicher. Maureen meint, er würde absichtlich aufdrehen, und ich weiß, sie hat Recht, aber es tut gut, zu wissen, dass er es überhaupt noch kann. Und vor allem, dass er noch will.
Heute ist der zweite Todestag von Judge Judy, benannt nach der Fernsehrichterin. Ich frage mich gerade, ob John aus diesem Anlass anrufen wird, obwohl heute erst Donnerstag ist.
Judge Judy war unsere gemeinsame Katze. Andere Paare haben ein gemeinsames Konto, nehmen zusammen einen Kredit auf oder setzen Kinder in die Welt. Wir hatten eine Gemeinschaftskatze. Ich fische das Katzenhalsband aus der Hosentasche. Diese Hose habe ich an dem Tag getragen, als ich meine Sachen aus Johns Wohnung geräumt habe. Wir haben Judy an unserem dritten Jahrestag aus dem Tierheim geholt. Für mich war das aussagekräftiger als jeder Verlobungsring. Eine Katze bedeutet Verantwortung. Leider ist Judge Judy immer wieder ausgebüchst, und eines Tages hat sie es bis zur Hauptstraße geschafft und wurde von einem LKW überfahren. Er hatte Kitekat geladen.
Ich reibe mit dem Daumen über die angelaufene Plakette am Halsband. Es ist sieben Minuten nach neun. John wird nicht anrufen. In seinen Augen wäre das Sentimentalität, eine Gefühlsregung, für die er kein Verständnis hat.
Ich lasse das Halsband in den Mülleimer in der Küche fallen, und dort liegt es dann knappe sieben Minuten lang, ehe ich zurückkehre.
»Brauchst du Hilfe, Scarlett?«
Ich ziehe den Arm aus dem Mülleimer und drehe mich um. Red Butler steht in der Küchentür. In diesem Augenblick hasse ich John, weil er mich in einen Menschen verwandelt hat, der in Mülltonnen wühlt. Stöckelschuhe klappern, dann taucht Sofia Marzoni hinter Red auf. Wenn sie nebeneinanderstehen, sind sie beinahe gleich groß.
Ich richte mich auf und ziehe die Gummihandschuhe aus. »Was macht ihr denn hier?« Es ist schwierig, diese Frage zu stellen, ohne unhöflich zu wirken, aber ich gebe mir Mühe.
»Declan hatte uns zum Abendessen eingeladen, doch dann hat er es vergessen, und deswegen ist er mit uns essen gegangen«, berichtet Sofia, während sie sich aus ihrer
Kunstpelzjacke schält. Jedenfalls hoffe ich, dass es Kunstpelz ist.
»Wonach hast du im Mülleimer gesucht?«, will Red wissen. Er nimmt mir sanft die Gummihandschuhe aus der Hand und schlüpft hinein.
»Ach, ist nicht weiter wichtig. Es war …«
Schon steckt er bis zu den Ellbogen in Küchenabfällen. Ich höre das Glöckchen an Judge Judys Halsband klimpern. Red hat es auch gehört und gräbt noch tiefer. Gleich darauf schwenkt er das Halsband wie eine Trophäe.
»Judge Judy«, sagt er mit einem Blick auf die Plakette. »Ist das auch eine von deinen Katzen?«
»Es war eine von meinen Katzen.« Ich nehme ihm das Halsband ab, um es im Waschbecken abzuspülen. »Sie ist gestorben«, fahre ich mit lauter, fröhlicher Stimme fort, wobei ich den beiden den Rücken zukehre. Meinem tapferen Auftreten zum Trotz habe ich zu meinem großen Entsetzen einen Kloß im Hals. »Genau heute vor zwei Jahren.« Ich kneife die Augen zu und konjugiere das Verb manquer in der Konjunktivform.
»Das tut mir leid«, sagt Red, und ich drehe mich um und mustere ihn prüfend. Macht er sich über mich lustig? Manche Leute haben keinen Respekt vor der Trauer eines Menschen um sein Haustier.
»Gib her«, sagt er und deutet auf das Halsband. Ich reiche es ihm, und er hält es vorsichtig zwischen den Fingern, als wäre es zerbrechlich. Gleich darauf hat er irgendwo einen Lappen und eine Dose Politur aufgetrieben und bearbeitet es damit so lange, bis es wieder aussieht wie neu.
»Es ist wichtig, sich ein Andenken zu bewahren«, bemerkt er, als er mir das Halsband zurückgibt. Er fragt nicht, warum es in der Mülltonne lag. Ich nicke nur, wage nicht, etwas zu sagen.
Declan rauscht herein, als wäre er auf Rollen unterwegs. »Ah, Scarlett, Liebes. Ich bin leider nicht mehr ganz taufrisch«, murmelt er verlegen. Er sinkt auf einen Stuhl, kommt jedoch nur ganz am Rand zu sitzen, so dass der Stuhl wackelt und umkippt und Declan auf dem Boden landet. Red und Sofia packen je einen Arm, ziehen ihn hoch und befördern ihn auf die Couch unter dem Fenster. »Ein bisschen zu viel Gin und nicht genug Tonic zum Abendessen«, gesteht Declan. Seine Wangen sind gerötet, was allerdings eher dem Gin zuzuschreiben sein dürfte als der Tatsache, dass er sich schämt.
»Ich mache Kaffee«, verkünde ich.
»Goldige Idee, Liebes«, röhrt er und
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