Und was, wenn ich mitkomme?
schweigt bedrückt.
Gegen ein Uhr erreichen wir das Ende der Welt. Wie immer machen wir uns zuerst auf die Suche nach der Touristen-Information. Sie ist in der Pilgerherberge untergebracht. Doch die öffnet erst um fünf. Wir irren durch den Ort, trinken — um die Zeit totzuschlagen — café con leche und treffen schließlich auf einen deutschen Pilger, der uns als Übernachtungsmöglichkeit das Hostal Lopez empfiehlt und uns auch den Weg dorthin zeigt, sodass wir nicht länger auf irgendwelche Öffnungszeiten warten müssen.
Das hostal ist ein mehrstöckiges Gebäude dicht am Hafen. An der meerzugewandten Hausseite ziehen sich verglaste Balkone bis zum obersten Stockwerk hinauf. Das Erdgeschoss beherbergt einen einzigen garagenähnlichen Raum, in dem Fischernetze über Stangen hängen, daneben Hocker und Eimer. An den Wänden sind fremdartige Geräte aufgereiht, vor dem Fenster steht ein Tisch mit abblätternder Farbe, darauf eine Kaffeemaschine und mehrere benutzte Tassen, zwischendrin ein aufgeklappter Wäscheständer. Es riecht nach Salzwasser, Kaffee und Seife.
Eine freundliche Frau in Kittelschürze nimmt uns in Empfang. Wir steigen hinter ihr her durch ein dunkel getäfeltes Treppenhaus in den vierten Stock. Pit muss den Kopf einziehen, um nicht an die Decke zu stoßen. Aber das Zimmer ist genau das, was wir jetzt brauchen: Hell und luftig und ausgestattet mit einem großen Bett mit bauschigen Kissen und weichen Decken. Vor dem Fenster steht ein Ohrensessel und auf dem Balkon Gartenstühle und ein kleiner Tisch. Pit öffnet sofort die Fenster. Klare Luft strömt ins Zimmer. Es hat aufgehört zu regnen, und über dem Meer wabert ein dunstiger Schimmer. Der Horizont liegt unendlich weit entfernt. In der Nähe schaukeln bunte Fischerboote auf den Wellen. Ich bin geneigt, mich sofort versöhnen zu lassen. Wir checken für vier Nächte ein.
43. TAG FINISTERRE
Schlafen... am liebsten nur noch schlafen. Es ist längst heller Tag, aber ich komme nicht aus dem Bett. Ich döse vor mich hin, tauche in neue Träume ein oder hänge im Halbwachen meinen Gedanken nach. Vor genau sechs Wochen sind wir aufgebrochen, und nun sind wir am Ende der Welt — und auch am Ende unserer Kraft! Was kann jetzt noch kommen? Die hoffnungsvolle Erwartung der ersten Tage ist längst vorbei, aber auch der allertiefste Schmerz und die bodenloseste Niedergeschlagenheit. Eingewickelt in meine Decke spüre ich nicht einmal mehr Erschöpfung. Das alles ist einer Art Gleichgültigkeit gewichen: So, wie es kommt, so kommt es eben — eine Haltung ohne Wünsche... Mir ist klar, dass das Leben dadurch an Intensität und Esprit verliert, aber eben auch an Frustration und Enttäuschung. Alles wird belanglos. Ist das nicht vielleicht sogar besser so? Zumindest aber leichter zu ertragen... Doch Pit scheucht mich trotzdem aus dem Bett.
Draußen spannt sich ein selten blauer Himmel über das Meer, das aussieht wie gestriegelt. Wir haben Hunger. Doch gerade, als wir zum desayuno aufbrechen, fängt es wieder an zu regnen. Ohne Schirm geht hier nichts. Wir drängen uns in Hauseingänge, quetschen uns an Mauern vorbei und drücken uns unter Überstände und Balkone. Trotzdem klatschen uns, noch bevor wir eine Bar erreichen, die Haare feucht am Kopf, und unsere Kleider fühlen sich klamm an. Aber das ist egal... Alles ist gleichgültig, ob es Kaffee gibt oder etwas anderes, der Toast, die Marmelade, sogar, dass die Sonne sich wieder zeigt, kaum sind wir mit dem Frühstück fertig. Willenlos schlappe ich hinter Pit her durch den Ort und über den Wochenmarkt, der laut und farbig ist und voller intensiver Gerüche: Fisch und Backwaren und Öl und Wäschestärke, Männerschweiß und süßes Parfum, das aus den bunten Kleidern der Frauen dünstet, Zitrusfrüchte und dazu das Meer, modrig, wo es sich beleidigt zurückgezogen hat, frisch, wo es lebendig und voller Kraft gegen die Hafenmole klatscht. Wir kaufen ein fürs Abendbrot. Ich sehne mich schon wieder nach meinem Bett.
Doch zurück im Hostal Lopez bleiben wir gleich im untersten Stockwerk hängen. In dem riesigen Raum sitzt der Ehemann unserer hospitalera auf einem Plastikhocker und knüpft Fischernetze. Bereitwillig zeigt er uns sein Handwerk, und wir sind erstaunt, wie viel wir von seinen Erklärungen verstehen und was wir alles mit ein paar Brocken Spanisch erfragen können. Der Kontakt mit diesem Mann tut uns so gut, dass wir uns motiviert genug fühlen, um heute noch etwas zu unternehmen. Man
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