Und was wirst du, wenn ich gross bin
Lorbeerkränze, die man sich windet, ohne sie verdient zu haben, können einem zwar Anerkennung bringen, aber diese Anerkennung wiegt wie Blei. Und wenn man sich viele dieser Kränze aufsetzt, wird es irgendwann sehr schwer. So schwer, dass es einem den Kopf nach vorne beugt, bis man sich nicht mehr im Spiegel ansehen kann.
Ich räume jedoch ein, so vor dem Spiegel zu stehen kann für den Betrachter immer noch wirken, als würde man sich vor seinem eigenen Spiegelbild verneigen.
Das Schlimmste von allem aber ist das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. Nicht tief genug eingedrungen zu sein. Um alles zu erleben, was das Leben zu bieten hat, ob im Bett oder auch nur im Büro, muss man anscheinend die Hosen auch mal runterlassen.
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vandale
Alles Gute ist irgendwann vorbei, aber glücklicherweise auch die Schulzeit. Dass man nicht für das Leben, sondern für die Schule lernt, weiß jeder, der lebt. Aber immer wieder erzählten mir während meiner Schulzeit gerade ältere Männer, die erfolgreich im Beruf standen, mit einer Mischung aus Märchenonkel- und Bundeskanzlergehabe, die nichtvorhandene Wilhelm-Busch-Gedächtnis-Pfeife im Mundwinkel rauchend, dass die Jahre in der Schule die schönste Zeit des Lebens seien. Man wüsste es aber erst später zu schätzen. Nie wieder würde man so sorglos sein, so frei von Zwängen und umgeben von Freunden.
Lassen wir mal außen vor, dass ich als Teenie dachte, wenn diese Herren von Schulzeit reden, sprechen sie vom viktorianischen Zeitalter. Vergessen wir darüber hinaus, dass unter den Herren, die das behaupteten, erstaunlich viele Juristen waren. Vielleicht hatten sie auch einfach nur Die Feuerzangenbowle mit Heinz Rühmann ein paarmal zu oft gesehen.
Ich hatte auf jeden Fall nicht den Hauch einer Ahnung, warum ausgerechnet Schule sorglos und frei von Zwängen sein soll. Schule bedeutet so vieles im Alter zwischen sechs und circa zwanzig:
Wo man hin muss.
Wohin man gehen soll, damit man mal was wird.
Der Grund für die erste Monatskarte.
Das, wovon man Ferien hat.
Später dann: das, wofür man pauken muss.
Das, worüber man abends schimpfen kann.
Ein Zeitdieb, ein Badengehenverhinderer und Werkzeug der Reaktion.
Eine Anstalt zur geistigen Uniformierung und der hilflose Versuch, durch Erstellung von Lehrplänen verschiedene Formen von Intelligenz zu suchen und zu wecken.
Letzteres erinnerte an Raumschiff Enterprise, bloß dass kein Lehrer annähernd Jean-Luc Picard war, den es sowieso noch nicht gab, denn mein Abitur fand ein Jahr vor der Erstausstrahlung von Star Trek - Next Generation statt. Das erklärt sicher einiges. Ich wuchs mit Captain Kirk auf, über den man viel Gutes sagen kann, jedoch wenig über seine pädagogischen Fähigkeiten.
Keinesfalls war Schule für mich jemals der Ort, an dem man seine beste Zeit verbringt. Und einen Ort, den man sich nicht ausgesucht hat, der aber angeblich darüber entscheidet, ob man künftig glücklich und erfolgreich oder Jurist wird, als »sorglos und frei von Zwängen« zu bezeichnen, ist schon eher zynisch.
Je näher nun das Schulende rückte, umso dringender war geboten, diesem Grundgefühl der kontrollierten Ablehnung mit Hilfe einer Aktion Ausdruck zu verleihen. Das Wort »Schulstreich« oder auch »Abiturstreich« ist in diesem Zusammenhang irreführend, das klingt einfach zu sehr nach Juckpulver oder Klopapier um Lehrerautos. Wir wollten nicht einfach infantile Zahnpastaschmierereien verabreichen, sondern echte subversive Täter sein, an der Grenze zum Verbrechen; mit einer Idee überraschen, die provoziert, zum Nachdenken anregt und trotzdem nicht darüber hinwegtäuscht, dass die Täter beim Aushecken des Planes deutlich mehr als drei Bier und wohl auch Batida de Coco getrunken hatten. Da allein das Trinken von Batida ein dadaistischer Akt ist, waren wir schon im Vorfeld höchst enthusiastisch. Wir, das waren Chrysipp, so zu benennen wegen seiner Neigung zum logischen Denken, und Diomedes, dessen Fechtkunst unübertroffen war und mit dem ich mir großartige Fechtduelle mit Schul-Zeigestöcken lieferte. In den Pausen perfektionierten wir im Klassenzimmer unsere Technik, auf der Planche des U-Bahnhofes »Therese-Giehse-Allee« wurde es dann ernst. Diomedes verlor fast mal ein Auge dabei, aber kein Einsatz ist zu gering für die Bildung. Tatsächlich habe ich diesen Duellen auch einiges an klassischer Bildung zu verdanken, denn wir wurden beim Sparring vom Lehrkörper beobachtet, und zum
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