Und was wirst du, wenn ich gross bin
nachts um drei im Regen freiwillig Motorrad zu fahren? Weißbier? Fahnenflucht? Pflichtbewusstsein? Nein. Frauen.
Eine Freundin, der ich mehr als zugeneigt war, war für ein Jahr nach Frankreich gegangen, um dort zu arbeiten, und ich hatte ihre letzte Woche in deutschen Landen dazu genutzt, mich in sie zu verlieben. Kluges Timing war noch nie so ganz meine Sache. Also beschloss ich, dass es noch besser, als sie hier zu verabschieden, wäre, wenn ich sie in Paris am Bahnhof empfangen würde. So fuhr ich still und heimlich dorthin. Die Überraschung war eine sehr gelungene. Wir haben drei Stunden in einem Pariser Straßencafé gesessen, unbeschwert und hochromantisch. Dann musste ich fahren. Eine Stunde nach Abfahrt begann der Regen, ab dem frühen Abend kamen Gewitter hinzu. Natürlich fühlte ich mich mit jeder Stunde verregneter Beschwernis heldenhafter. Ich glaube, das war eine der Aktionen, die mich in all der Ödnis wieder daran erinnert haben, wer ich bin. Wenn man seine Seele verkauft hat, hilft es einem, wenn man sie auch mal verschenkt. Mit der Freundin, die ich besucht hatte, habe ich mich später verlobt. Rein platonisch allerdings. Für Verlobung kriegte man damals einen Tag Sonderurlaub. So etwas lernt man als Stabsdienstsoldat. Leider lernt man nicht, wie man echte Beziehungen eingeht, diese drei Stunden in Paris waren alles, was wir hatten. Der große Casablanca-Satz »Uns bleibt immer noch Paris« erinnert mich also eher daran, mich morgens zu rasieren.
Was die Verschlafstrafe betraf (eine Woche jeden Tag um sechs Uhr morgens antreten), so wusste ich, dass dem strafenden Hauptmann, was ihn selbst betraf, Schönheitsschlaf vor preußischer Disziplin ging und er nie vor Punkt halb acht Uhr morgens da war. Er kontrollierte also nicht persönlich, ich hatte mich deshalb um Punkt sechs Uhr bei der Wache am Tor zum Betreten der Kaserne zu melden. Als Sekretärin kannte ich aber absolut jeden, der Wache hatte, und die Wachhabenden haben mich kollegial eine Woche lang um sechs Uhr als anwesend gemeldet und um kurz vor halb acht begrüßt.
Kleine Orte, kleine Siege. Doch jede Nachtfahrt geht einmal vorüber. Was man aus all dem lernen kann, habe ich mich oft gefragt und nie eine Antwort gefunden. Aus eigener Dummheit kann man eben nicht schlau werden, man kann sie nur aussitzen. Darauf ein Weißbier.
11
wildhüter
Das Wichtigste nach zwei Jahren Gefängnis ist die Freiheit, und die findet man bekanntlich nicht zu Hause. Das dachte ich zumindest, und deshalb war es Zeit, Europa vorübergehend Lebewohl zu sagen und in der Ferne neue Erfahrungen zu machen.
So stand ich nun am Autobahndreieck Katherine, Nordaustralien, wo Stuart Highway und Victoria Highway aufeinandertreffen, um von dort nach Darwin an der Nordküste zu trampen. Ich hatte drei australische Dollar in der Tasche, wovon ich zwei Dollar für eine Schachtel Zigaretten ausgab, aus Gründen der Camel-Mann-Coolness (darf man eigentlich mittlerweile über das Rauchen noch verklärend schreiben?), so dass noch ein Dollar übrig blieb. Eine runde Summe.
Es gibt ja Momente, in denen ist man sich bewusst, gerade inmitten einer Geschichte zu sein, in der man der Hauptdarsteller ist, aber man kann sich trotzdem dabei zusehen. Das war so ein Moment, und ich habe ihn innerlich fotografiert. Die Tankstelle auf der anderen Straßenseite, der Highway, in beide Richtungen bis zum Horizont geradeaus, und ich mit Rucksack und einem Dollar in der Tasche mittendrin.
Am anderen Ende der Welt, allein und ohne Geld. Abenteuer ohne Netz. Getreu dem durch Janis Joplin groß gewordenen Satz von Kris Kristofferson, dass Freiheit nur ein anderes Wort dafür sei, nichts zu verlieren zu haben. Wenn ich nicht allein gewesen wäre, hätte ich jedem, den ich traf, sofort erzählt, wo und wie ich gerade stehe, auch wenn das für denjenigen eine Information gewesen wäre, die er in dem Fall schon gehabt hätte.
Der Kumpel, mit dem ich unterwegs war, hatte schon den Flieger nach Indonesien genommen, denn der Plan war, nach Australien gemeinsam Südostasien zu bereisen. Allein meine Barmittel waren ausgegangen und meine Bettelanrufe bei den Eltern gescheitert, da beide gerade kein Geld hatten. Aber ich hatte bei meinem ersten Aufenthalt in Darwin drei Wochen vorher gute Kontakte zu einer Jugendherberge geknüpft und war zuversichtlich, dort arbeiten zu können.
So war es auch, ich wurde als Assistent engagiert und bekam dazu das sensationelle Angebot, eine
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