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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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Zweigstelle der Jugendherberge im Kakadu Nationalpark zu übernehmen, einem der spektakulärsten Flecken der Erde. Zur Einweisung durch meinen kurz vor der freiwilligen Pensionierung stehenden Vorgänger sollte ich gleich zwei Tage später für eine Woche hinfahren. Ich als Jugendherbergsvater in Nordaustralien!
    Als ich dort ankam, wusste ich, das ist der Jackpot. Ein Holzhaus auf Stelzen mit einer Veranda (mit Schaukelstuhl!!!) mitten im Naturschutzgebiet, weitab des Touristencenters, neben einem Billabong, also einem Wasserloch, quasi wie ein Teich, von einem Flüsschen durchzogen. Zur Trockenzeit wohlgemerkt, zur Regenzeit war die gesamte Umgebung ein kilometerweiter See, aus dem ein Haus auf Stelzen ragt. Aber die Regenzeit ging gerade ihrem Ende entgegen.
    Ich sah es vor mir bis ins kleinste Detail:
    Die Sonne versinkt langsam zwischen den Bäumen. Wie jeden Abend zur Dämmerung verdunkeln die Fledermäuse den Himmel, die Papageien schreien. Der Crocodile Dundee unter den jungen Herbergsvätern sitzt nach einem langen Tag auf seinem Schaukelstuhl. Nachdem er die verweichlichten Zivilisationslullen rau, aber mit einem Zwinkern geweckt hat, ist er mit ihnen in den Busch aufgebrochen, um ihnen die bis zu sechs Meter langen tödlichen Leistenkrokodile, Giftschlangen und Spinnen, aber auch Papageien, Pelikane und Kängurus zu zeigen. Er lehrt sie den ein oder anderen Aborigine-Trick zum Überleben in der Wildnis, dann ruft die Herbergspflicht, Fleisch und Kaltgetränke werden eingekauft, das Holz ausgebessert und diverse Wildhütereien durchgeführt, bevor er sich zur Tierbeobachtung allein und unbewaffnet in den Busch zurückzieht. Denn Verhaltensforschung und Zoologie sind Dinge, die ihn seit seiner Kindheit interessieren. Spätnachmittags wird unter seiner gütig gestrengen Anleitung gegrillt, natürlich vorsichtig, um Buschfeuer zu vermeiden. Nach dem Essen versorgt er die Blasen an den Füßen der erschöpften ehemaligen Internatsmädchen mit Wildkräuterumschlägen, seine rauen Hände gehen zart zu Werke. Dann setzt er sich in seinen Schaukelstuhl und trinkt ein kaltes Foster’s Bier. Wenn er gut gestimmt ist, erzählt er vielleicht noch aus dem Jugendherbergsvaterleben, bevor die letzte Kerze erlischt. Und die hübschesten unter den Touristinnen hoffen, Einlass in sein Einzelzimmer zu bekommen, um eine unvergessliche Nacht im australischen Busch zu erleben. Eine Nacht, wegen der sie sich ein Leben lang fragen werden, ob sie nicht hätten bleiben sollen. Und vielleicht würde die Eine darunter sein und hierbleiben, und wir würden mit den Krokodilen ringen und glücklich sein.
    So weit die Theorie. In der Praxis war meine erste Aufgabe am nächsten Tag Rasenmähen. Das klingt erst mal ein bisschen simpel oder alltäglich, aber im Busch ist nichts alltäglich. Der Grund für das Rasenmähen beispielsweise war, dass Blitze das hohe Gras entzünden konnten und dann die Herberge nicht mehr zu retten gewesen wäre. Eine ganz andere Verantwortung also als das herkömmliche »Rasenmähen, weil sich die Nachbarn über den Löwenzahn beschweren«.
    Auch eine ganz andere Ausrüstung.
    Ich fand kein auch nur annähernd rasenmäherartiges Instrument. Nicht mal eine Sense. Auf der anderen Seite wartete der Gegner: In einem Radius von fünfzehn Metern (eigentlich natürlich weit über hundert Meter, aber nur fünfzehn Meter um das Haus herum waren zu mähen) stand kniehohes Gras. Und zwar kein verweichlichtes europäisches Gartencentergras, sondern australisches Ur-Buschgras. Da war nicht mal mit dem Küchenmesser etwas auszurichten.
    Es gab nur ein Gerät, das der Aufgabe gewachsen war. Obwohl gewachsen übertrieben ist, sagen wir einfach, meine Nagelschere war das einzige Gerät, was das Gras überhaupt geschnitten hat. Ich habe also nach zwei Stunden intensiver Gerätesuche, einer weiteren Stunde verzweifelter Gerätesuche, und einer zusätzlichen Stunde mit Schnittproben aller vorhandenen Messer bis hin zum vergeblichen Versuch, das Gras herauszureißen, schließlich aus drei verrosteten Stahltonnendeckeln und Ästen eine Art Schlitten gebaut, weil ich das vom Heumachen aus den Alpen kannte, und losgeschnitten. Losgeschnippelt, besser gesagt. Vier Tage kroch ich von morgens bis abends mit einer Nagelschere in einem UNESCO Weltnaturerbe herum und habe aus Brandschutzgründen Rasen gemäht. Das Heu habe ich im Billabong versenkt.
    Der Weg zum Herbergsvater ist eben ein steiniger. Nach diesen vier Tagen hätte ich mit

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