Und was wirst du, wenn ich gross bin
sich vielleicht auch um natürliche Verwitterung gehandelt haben könnte. Nebelschwaden umwehten den Gipfel. Die Dunkelheit senkte sich über uns, und wir warteten auf … nun ja, wir wussten nicht genau, worauf. Vielleicht haben wir es deshalb auch verpasst, weil wir es nicht wussten. Dabei waren wir sehr »offen« - außer einmal, als wir uns für eine halbe Stunde furchtbar stritten.
Der Morgen brach an, und der Berg hatte geschwiegen, was man ihm nicht verübeln sollte, das machen Berge ja öfter so. Wie ich kürzlich feststellen konnte, wurde mittlerweile zumindest ein Fitnesscenter auf Gomera nach dem Berg benannt.
So wanderten wir zurück. Wir waren unerleuchtet geblieben, aber es war schön gewesen, im Freien zu übernachten. Auf dem Rückweg dann war ich mir ganz sicher, in einem Seitental den Eingang einer Pyramide entdeckt zu haben, und wollte dem unbedingt nachgehen. Ein großer archäologischer Fund war etwas, wovon ich immer schon geträumt hatte. Aber ich sah dann doch davon ab, wohl um nicht noch einmal enttäuscht zu werden und um nicht in bürgerliche Betriebsamkeit zu verfallen.
Trotz aller weiteren Absichtslosigkeit gestaltete sich der Rest der Zeit auf Gomera fast wie Urlaub. Und beim fortgesetzten Studium der deutsch-esoterischen Gemeinde fiel uns auch auf, dass diese trotz aller gelebten Absichtslosigkeit verdächtige Übereinstimmungen mit der Gesellschaft zu Hause zeigte. Es gab die Unterschicht, die am Meer in einer Höhle lebte, in der sogenannten Schweinebucht, so bezeichnet wegen des Fehlens sanitärer Einrichtungen. Diese Unterschicht sah man abends am Dorfplatz für ein paar Münzen trommeln oder tanzen. Dann gab es die Mittelschicht, die in dem Bergdorf lebte und deren Mitglieder alle Masseur werden wollten oder Kartenlegerin oder Lebensberater oder Yogalehrerin oder Meditationsleiter oder alles zusammen. Und dann gab es die Oberschicht, die immer irgendwas mit Hauskonstruktion zu tun hatte und die der Mittelschicht die Häuser baute, wobei sie selbst in renovierten Fincas auf Gütern außerhalb lebten.
Dokumentarisch zu zeigen, wie man aussteigen und dann auf andere Art wieder einsteigen kann, hätte Iris und mir durchaus Freude bereitet. Aber wir stellten zunehmend fest, dass man für Dokumentarfilme immer mitfilmen muss, was die Stimmung erheblich beeinträchtigt. Uns beiden fehlte das Paparazzo-Gen, das bewegende Momente sofort mit einer Kamera einfangen muss. Das wirkt sich auf das Dokumentarfilmen natürlich einschränkend aus.
Wir waren also auf Gomera so etwas wie Jäger gewesen, die mit einer Schrotflinte nachts in den Himmel schossen und dann darauf warteten, dass Wild vom Himmel fiel. Was nicht geschah. Nun, man muss auch das Positive sehen, es wurden dabei wenigstens keine Tiere verletzt.
Was die Esoterik betraf, waren wir einem weit verbreiteten Missverständnis aufgesessen, das einem im frischen missionarischen Eifer gerne unterläuft. Nicht jeder, der ab und zu mal in die Kirche geht, sollte Pfarrer werden. Trotzdem hatte es sich gelohnt, denn die Esoterik hatte mir, obwohl die große Begeisterung mit der Zeit verflog, zumindest vermittelt, dass »auf dem Weg sein« kein falscher Zustand ist. Bis dahin wollte ich überall, wo ich war, schon angekommen sein. Nun war ich zum ersten Mal einfach nur unterwegs.
Wenn man aufmerksam lebt, könnte man das sogar in Weinhandlungen lernen. Denn bloß weil man gerne Wein trinkt, ist es nicht sinnvoll, sofort Winzer zu werden. Sondern man sollte die Flaschen, die einem schmecken, leeren. Eine nach der anderen.
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hausmann
Eines war sicher nach dem Dokumentarfilmprojekt, es galt für mich, wie immer Vorstellungen loszulassen - und dennoch die Frau zu behalten. Also zog ich, mit ihrem Einverständnis, zu ihr. Es war eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, also nicht riesig, aber auch nicht schizophren. Nun folgte eine Phase, mit der immer zu rechnen ist, wenn man sich wie Kolumbus oder Magellan in eine neue Welt aufmacht, aber noch nicht angekommen ist. Nämlich die Phase, in der sehr, sehr lange nichts passiert, außer Skorbut. Mit »nichts« ist in diesem Fall vor allem die Abwesenheit von Aktivität meinerseits gemeint.
Ich hatte mich, trotz aller guten Vorsätze, doch wieder hinreißen lassen, bevor ich blind beruflich neu loslegte, zu suchen. Ich wollte wissen, was denn nun meine wirkliche, innere Berufung war. Doch diesmal wollte ich nicht mehr im Außen suchen, sondern ausschließlich innen. Dafür war es
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