Und was wirst du, wenn ich gross bin
wichtig, viel bei mir zu sein und mich nicht ablenken zu lassen. Auch nicht durch Arbeiten, und so kündigte ich in der Weinhandlung. Was nur möglich war, weil Iris arbeitete und Geld verdiente. Das war natürlich keine Situation, auf die ich sonderlich stolz war, aber sie glaubte an mich, was mich bis heute erstaunt, und war guter Hoffnung, sobald ich die Lösung gefunden hätte, würde ich sofort in der Lage sein, mich zu revanchieren und die Schulden zu begleichen.
Ärgerlicherweise war es so, dass diese Schieflage natürlich einen gewissen innerlichen Druck aufbaute, der wiederum nicht förderlich dafür war, zu einem aus Leichtigkeit geborenen Ergebnis zu gelangen. »Nichts« hat eben die Eigenschaft, sehr gerne gefüllt zu werden, vor allem wenn die Freundin die Lebenskosten bestreitet. Also begann ich, es zu füllen, natürlich ohne dabei dem Prinzip der Kontemplation untreu zu werden. Der Plan war, die Nichtsfüllung mit der gefühlten Ehrenschuld zu verbinden, aber räumlich nicht zu weit von mir entfernt zu sein. Also übernahm ich die haushaltlichen Pflichten. Das Einkaufen, das Putzen und das Kochen. Obwohl Letzteres eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist, besonders wenn ich Essen nicht nur für mich allein zubereite, nahm es mit der Zeit leicht manische Züge an. Was dazu führte, dass ich zuweilen ab dem frühen Abend neben dem brutzelnden Essen saß, mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte und mich mit jeder verstreichenden Minute mehr über die Zuspätkommende empörte. Man kennt das aus Filmen oder von den Eltern oder mit zunehmendem Alter von Freunden, wenn der zu viel arbeitende Mann nach Hause kommt und die enttäuschte Frau übellaunig neben dem kalten Braten wartet. Das Geschlecht des Wartenden ist aber für die Situation völlig unerheblich, wie ich im Verlauf der Zeit immer öfter demonstrierte. Wobei bei Frauen das Zuhausebleibenmüssen oft an Kindern liegt. Ich war zwar ebenfalls schwanger, aber ich wusste nicht mit was, und eine Geburt war nicht abzusehen. Wenn Iris dann nach Hause kam, stritten wir, wie sich das in solchen Momenten gehört, und ich fühlte mich auch nicht besser oder männlicher oder versorgender oder zweisamer, nur weil ich mit seltsamen Moralitätskomplotten meine finanzielle Abhängigkeit verschleiern wollte.
Es wurde immer schlimmer. Ich lag auf dem Sofa, auf einem Lammfell, und hatte zunehmend das Gefühl, bei lebendigem Leibe Schimmel anzusetzen. Wenn man so vor sich hinmodert, dann fällt nach und nach jeder Wille zur Kontemplation von einem ab. Tatsächlich wurde der Modergestank so intensiv, dass ich sonst fast nichts mehr roch, nicht mal mehr wenn ich kochte.
Jeden Tag schmiedete ich vormittags Pläne, die ich gegen Nachmittag wieder verwarf, um dann planlos zu kochen. Die einzige Abwechslung bestand darin, ein- bis zweimal wöchentlich mit zwei alten Freunden, beides Musiker, Badminton zu spielen. Wir sprachen danach auch sehr regelmäßig über unsere Zukunftspläne und darüber, wie wir am besten dorthin gelangen würden. Sie waren zwei der wenigen, die mit engelsgleicher Geduld all meinen wöchentlich neuen Ideen lauschten und sie ernsthaft mit mir diskutierten. Und das, obwohl sie mich schon zehn Jahre kannten. Vielleicht weil sie als Musiker vertraut damit waren, dass Pläne nicht immer aufgehen, aber immer ernst gemeint sind, und sei es auch nur für fünf Minuten.
Problematisch war an diesen Badmintonspielen, dass sie Geld kosteten. Geld, das ich nicht hatte und mir ebenfalls von meiner Freundin leihen musste. Wenn jemand für den Unterhalt in Form von Miete aufkommt, merkt man das nicht immer so direkt - das weiß ja jeder noch von seiner Zeit als Schüler -, aber wenn man, obwohl man viel Geld in Anspruch nimmt, auch noch um Barmittel für die Freizeitgestaltung bittet, knirscht das schon zwischen den Zähnen.
So habe ich einmal, als ich es nicht mehr aushielt, mein Heiligstes zum Verkauf geboten. Meine Schallplatten und meine Bücher. Rundes Vinyl und bedrucktes Papier verkaufen! Mehr muss ich wohl nicht sagen, um meine Verzweiflung zu veranschaulichen. Ich habe tatsächlich einen Teil davon auf dem Flohmarkt verscherbelt. Natürlich erst nachdem ich die überlebenswichtigsten Bücher und Platten zum Verbleib ausgesucht hatte, als Rettungsring sozusagen. Viele Freunde, die hörten, ich würde meine Platten verkaufen, riefen mich besorgt an. Andere wiederum erzählten mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit, es sei jetzt an der Zeit,
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