Und was wirst du, wenn ich gross bin
Tatsache, dass ich mir die ganze als Frage getarnte Siriusrede (übrigens ist es ein beliebtes Prinzip bei Wichtigmachern in jedem Bereich, scheinbare Fragen als Schwafelgelegenheit zu nutzen) angehört hatte, ohne die Rednerin unwirsch zu unterbrechen und in den Katzenkorb zu sperren, zeigte mir doch, wie ausgelaugt ich generell war. Deshalb war es mir auch völlig egal, ob die erlebte Entspannung von einem außerirdischen Raumschiffkapitän oder süditalienischen Zwergelfen kam. Solange ich ein gutes Gefühl hatte, war ich dabei und blendete das Beiwerk aus.
Das hatte ich in gewisser Weise bei jedem Beruf gemacht, den ich je ergriffen habe. Und Esoteriker ist ja in den meisten Fällen eher ein Nebenberuf. Abgesehen davon ist nicht alles immer ein Bund fürs Leben, so wie die Freunde der Fünfzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen selten deren Ehepartner werden. Für den Moment galt, was oftmals gilt, egal für welches Alter: Das Herz ist mächtig, und es ist ein Idiot, das macht es so liebenswert, so unbestechlich und so schmerzhaft. Und wohl auch so weise.
Doch das wahrscheinlich Entspannenste, Wohltuendste und Sensationellste an all dem war, dass ich mich bis über beide Ohren in eine Seminarteilnehmerin verliebt hatte. Und diesmal war es beidseitig. Wollen wir sie Iris nennen, die Götterbotin, und weil Iris auch »Regenbogen« bedeutet. Es begann bei einem Spaziergang an einem See, sie war wunderschön, und sie aß jeden Tag eine Tafel Schokolade. Für mich war es das zweite Nachhausekommen, das ich erlebt habe. Der »Wechsel jetzt!« hatte also stattgefunden, ich war nicht mehr Single.
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dokumentarfilmer
Iris und ich verbrachten sehr viel verliebte Zeit zusammen und beschlossen bald, unser gemeinsam gefundenes Hobby, die Esoterik, zum Beruf zu machen. Um zu zeigen, welch wunderbare Dinge sich auftun, wenn man spontan ist, sich auf dem Weg inspirieren lässt und einfach ganz entspannt die Absicht hat, schöne Begegnungen zu haben, beschlossen wir, Dokumentarfilmer zu werden, und fuhren für sechs Wochen an einen der klassischen Orte esoterischer Sehnsucht, nach La Gomera.
Sie hatte schon Erfahrung mit Film gesammelt und besaß eine Videokamera. Ich brachte Erfahrung im Camping und mit angewandter Absichtslosigkeit am Meer mit. Da ich in Teilzeit als Weinverkäufer arbeitete und mein Konto ein größeres Loch aufwies, finanzierte sie die Reise. Dass sie sich mit mir auf eigene Kosten in eine solche Aktion stürzte, halte ich immer noch für wahnwitzig großartig, zumal sie drei Jahre älter und »geerdeter« war, wie man in der Esoterik die Eigenschaft nennt, nicht pleite zu sein und seine Steuererklärung selbst ausfüllen zu können.
So landeten wir eines Tages ganz absichtslos auf Gomera und suchten uns eine Bleibe. Anschließend schauten wir, was passieren würde. Das nahm einige Tage in Anspruch, die wir sehr miteinander genossen. Von absichtsloser Absicht getrieben drangen wir schließlich in ein Bergdorf vor, das so wirkte, als wären dort recht absichtslose Einwohner ansässig. Prompt trafen wir eine Frau, die ich von früher aus der Disco kannte, in die ich mit Klytämnestra immer gegangen war, und die mittlerweile nach Gomera ausgewandert war. Sie hatte mir damals den Tequila serviert, als ich Ägisthos den Brief aus Übersee überreichte. Sie zu treffen war ein eindeutiges Zeichen, auch wenn ich nicht wusste, wofür. Aber wenn sich ein Kreis schließt, kann man nun mal nicht mehr hinein und sich umsehen.
Sie erzählte uns vom Leben auf der Insel, den einheimischen Lebensstrukturen und den geheimnisvollsten Orten. Nicht zuletzt waren wir ja auch auf der Suche nach sogenannten Energieplätzen oder Kraftorten. Also Orten, die besonders sind und etwas ausstrahlen. Ich nehme an, jeder weiß, um was es sich dabei handelt, und dass mit Energie und Kraft hier nicht das gemeint ist, was in Fitnessstudios passiert. Wir bekamen den Tipp - von dem unser Reiseführer schon im Ansatz berichtet hatte -, der Gipfel eines bestimmten Berges sei besonders kraftvoll, ein heiliger Ort der gomerischen Ureinwohner. Die waren fast alle vor Hunderten Jahren umgebracht worden. Ich nehme an, dass sich Kolumbus deshalb dafür entschied, von Gomera aus in Richtung neuer Welt zu segeln. Thematisch passte das perfekt. Wir bestiegen also den Berg, um dort eine Nacht zu verbringen. Schon vor Sonnenuntergang suchten wir die Felsen aufgeregt nach alten Ureinwohnerinschriften ab und entdeckten sogar etliche, wobei es
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