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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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Iris hatte trotzdem uneingeschränkt Recht.
    In meinem Lieblingskinderbuch, Die Abenteuer des starken Wanja , muss Wanja sieben Jahre auf dem Ofen liegend verbringen und dabei sieben Säcke Sonnenblumenkerne essen, um stark genug zu werden, eine Reihe von Abenteuern zu bestehen, Zar zu werden und Wassilissa, die schöne Tochter des Zaren, zu heiraten. Das nun war mein Wanja-Jahr, allerdings gab es einige geringfügige Unterschiede zwischen Wanja und mir. Abgesehen davon, dass mein Ofen ein Sofa war, und davon, dass Wanja meines Wissens nie Badminton spielte oder Bücher und Schallplatten besaß, außer vielleicht später als Zar, wusste Wanja von selbst, wann die Zeit gekommen war, den Ofen zu verlassen. Ich wusste das nicht. Irgendwann drehte ich mich immer nur noch im Kreis um das Sofa.
    Und so hätte ich weitergekreist, wenn ich nicht geweckt worden wäre. Das ist eines der Dinge, die eine Klassefrau ausmachen. Nicht nur großzügig über Peinlichkeiten hinwegzusehen, sondern auch den richtigen Moment zu kennen für einen saftigen Tritt. Iris nahm mich eines Tages beiseite und erklärte in ruhigem Tonfall und in den Worten der Liebe:
    »Entweder du kriegst deinen Arsch hoch, oder wir trennen uns!«
    Das waren genau die richtigen Worte zur genau richtigen Zeit. Denn die Beziehung zu ihr war - neben den restlichen Platten, einigen Büchern und dem Badmintonschläger - das Einzige, was ich besaß, und sie selbst war das, was mir wirklich etwas bedeutete, durch all den Schimmel hindurch. Sie zu verlieren machte mir mehr Angst als jeder Gläubiger oder Plattenankäufer.
    Ich nahm den nächstbesten Job, einfach um etwas zu tun, was Geld einbrachte und mich vom Sofa fernhielt. Von meinem ersten Gehaltsscheck habe ich Iris eine sehr teure Sonnenbrille gekauft. Das hat sich göttlich angefühlt.
     
 
    Auf Hawaii hatte ich, wenn wir surfen gingen, immer meinen Geldbeutel im Sand vergraben, damit er nicht geklaut wurde. Am letzten Tag surften wir, bis nichts mehr ging und auch niemand mehr am Strand war. Schließlich packten wir ein und marschierten Richtung Ort. Nach fünfzig Metern fiel mir mein Geldbeutel ein. Ich drehte mich um und sah die Bucht von Hanalei, ein dreihundert Meter langer Sandstrand, fünfzig Meter breit, weit und leer. Ein Paradies, und irgendwo darunter mein Geldbeutel.
    Wir buddelten fünfundzwanzig Minuten lang, nachdem wir eine Viertelstunde wie indianische Spurenleser unseren Liegeplatz gesucht hatten. So etwas, fand ich heraus, kann einem auch auf der Couch passieren. Wenn man wertvolle Dinge vergräbt, sollte man bei sich bleiben, um sie wiederzufinden.

28
     
    entrepreneur
     
    Der erste Job nach Wanja führte mich mal wieder in ein Lager, ich packte Kartons und belud Lkws. Es war nicht erfüllender als Schaukeln oder Treppenhäuserputzen, aber es war zumindest etwas, das ich tat. Besser als nichts. Neben dem Job begann ich, von dem Moderjahr noch unter Schock, ins Auge zu fassen, etwas gegen Geld zu tun, was ich mir nie hätte vorstellen können. Schreiben.
    Als Teenie hatte ich pflichtbewusst Teeniegedichte geschrieben, so wie es sich gehört, darunter auch genau die Art von Gedichten, die der Welt auf immer verborgen bleiben sollten, schon des Selbstmitleids wegen. Auch hatte ich ja viele Liebesbriefe verfasst, und das nicht nur in eigener Sache, auch als Ghostwriter und sogar als Cyrano. Für alle sich bietenden Anlässe wie Hochzeiten, Jubiläen oder Geburtstage hatte ich Gedichte verfasst. Während der Esoterikhochphase hatte ich Garp und wie er die Welt sah gelesen und mich an der Vorstellung delektiert, dass es nur den Vorsatz braucht, zu schreiben, eine Zeile zu Papier zu bringen mit der Absicht, ein Buch zu schreiben, um Schriftsteller zu sein. Das hatte mich gefreut, denn eine Zeile mit Buchabsicht war schnell geschrieben, und das somit erreichte Schriftstellerdasein würde es mir ermöglichen, Worte wie »delektieren« zu verwenden. Aber leider waren das alles theoretische Konzepte, ich hatte die Zeile nie geschrieben. Und beruflich kam das sowieso nicht infrage. Weil es zu persönlich war. Und viel zu privat.
    Da ich aber erlebt hatte, wie unglaublich privat auch Berufslosigkeit mit Anfang dreißig sein kann, versuchte ich mich schließlich doch in dieser Richtung. Werbetexter schien mir die richtige Mischung aus Kommerz und Hobby. Ich schrieb einen Text, den ich nachts - wegen der geringeren Gebühren - landesweit an einhundert Agenturen faxte. Um mich nicht nur darauf zu

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