Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
Vom Netzwerk:
hier vor?«, fragte er. »Wer bist du?«
    »Das sollte ich lieber euch fragen«, antwortete der Fremde. »Ihr seid schließlich diejenigen, die einfach so hier bei uns reinmarschiert sind.«
    Er hockte sich auf die Kiste und zog seine Kapuze zurück. Mein Blick fiel auf sein Gesicht, und ich schaute überrascht noch ein zweites Mal hin.
    Er war noch ein Kind. Mindestens zwei bis drei Jahre jünger als ich, das Gesicht zart und jungenhaft, die Stirn übersät mit Pickeln. Das dunkle Haar unter seiner orangefarbenen, mit dem Logo eines Hockeyteams bestickten Mütze war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Als keiner von uns etwas sagte, tippte er sich mit der Waffe ans Bein und kniff die Augen zusammen.
    »Wisst ihr, ich hab euch gleich kommen sehen, als ihr aus dem Wald draußen wart«, sagte er. »Ich hätte euch einfach abknallen können.«
    »Hast du denn überhaupt ’ne Ahnung, wie man das Ding da bedient?«, fragte Tobias.
    »Ich bin ein guter Schütze«, erwiderte der Junge. »Das solltet ihr mir lieber glauben. Hab jede Woche mit meinem Dad am Schießstand trainiert, seit ich dreizehn war. Wenn ihr wie diese Gangster-Arschlöcher ausgesehen hättet, wärt ihr tot gewesen. Also, woher kommt ihr?«
    »Von südlich von Halifax«, antwortete ich. Er zog die Augenbrauen hoch.
    »Seid ihr etwa den ganzen Weg von der Küste hierhergelaufen?«
    »Wir hatten einen Truck«, erwiderte Gav. »Aber der ist kaputtgegangen. Die letzten Tage sind wir dann zu Fuß gegangen.«
    »Und wo wollt ihr mit dem ganzen Zeug da hin«, fragte der Junge und zeigte Richtung Tür.
    »Wozu interessiert dich das«, fragte Leo leise. »Hast du etwa vor, uns gehen zu lassen, wenn der Sturm vorbei ist?«
    »Wir sind nur hierhergekommen, um uns unterzustellen«, erklärte Tessa. »Es war nicht unsere Absicht, jemanden zu belästigen.«
    »Keine Ahnung, was passiert«, sagte der Junge. »Das ist nicht meine Entscheidung. Ich hab bloß Wache gehalten.«
    »Und wer entscheidet?«, fragte ich. »Du redest immer von ›wir‹ und ›uns‹ – wo sind denn alle?«
    Er sah mich an, als hätte ich die dümmste aller Fragen gestellt. »In den anderen Hütten«, antwortete er. »Die meisten von ihnen werdet ihr erst mal nicht zu Gesicht kriegen, auch wenn ihr dableibt. Das hier ist die Quarantänehütte. Weiter rein kommen Neuankömmlinge erst, wenn wir genau wissen, dass sie nicht krank sind. Da mussten wir alle durch.« Er hielt inne, während die Farbe aus seinem Gesicht verschwand. »Oh, Mist, das hab ich ja ganz vergessen.« Er fummelte mit der freien Hand in seiner Jacke und zog eine zerknitterte Schutzmaske hervor, die er sich rasch über das Gesicht streifte.«
    »Keine Sorge«, beruhigte ich ihn. »Von uns ist niemand krank.«
    »Da lass ich’s mal lieber nicht drauf ankommen«, erwiderte er. Sein Blick fiel auf die Kühlbox zwischen meinen Füßen. »Wieso hast du die nicht bei den anderen Sachen gelassen? Was ist da drin?«
    Ich schob automatisch die Füße vor die Box. »Das braucht genauso wenig deine Sorge zu sein«, sagte Gav mit einem deutlichen Drohen in der Stimme.
    »Hört mal«, sagte der Junge. »Ich hab doch gesagt, dass wir hier nicht stehlen. Aber ich muss es kontrollieren. Ihr könntet Waffen da drin haben oder so.«
    In der Hütte herrschte zwar kaum normale Raumtemperatur, aber es waren auch sicher keine Minusgrade. Ich hatte keine Lust darauf, dass er in der Box herumschnüffelte und die ganze kalte Luft herausließ. Wer wusste schon, wann ich sie wieder mit Eis auffüllen konnte? Doch als er einen Schritt vorwärts machte, stellte Gav sich ihm in den Weg, und es war klar, dass keiner von ihnen nachgeben würde. Also tat ich das Einzige, was mir einfiel, damit die Situation nicht eskalierte, für den Fall dass der Junge die Wahrheit über die Leute sagte, mit denen wir es zu tun hatten.
    »Es sind Impfstoffproben«, erklärte ich rasch. »Aber sie müssen kühl bleiben – jedes Mal wenn ich die Box aufmache, besteht das Risiko, dass sie verderben.«
    Der Junge legte den Kopf zur Seite, kam jedoch nicht mehr näher. »Ich hab gehört, dass der Impfstoff ein Flop war.«
    »Das hier ist ein neuer«, erwiderte ich. »Wir versuchen jemanden zu finden, der ihn reproduzieren kann, um genug davon für alle herzustellen. Deshalb sind wir hier entlanggekommen – und deshalb brechen wir auch wieder auf, sobald der Sturm vorbei ist. Vorausgesetzt ihr lasst uns.« Ich schwieg einen Moment. »Es sei denn, ihr habt Ärzte vor Ort, die

Weitere Kostenlose Bücher