Und wieder Carmel
das Fenster und lässt einen alles
vernichtenden Lichtstrahl hineinströmen. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf
und warte, bis ich die Tür zuschlagen höre.
Mühselig krieche ich aus dem Bett und schleppe mich ins Bad. Ausgelaugt,
verkatert, mit Kopf- und Gliederschmerzen und einem gefühlten Alter von 105
schlurfe ich die Treppe hinunter. Ich betrete die Küche und als Alex mich
sieht, schenkt er mir eine Tasse Kaffee ein.
„Willst du was essen?“
„Mm, mm“, verneine ich.
„Ein Glas Wasser?“
„Ja, sehr gern“, flüstere ich, denn meine eigene Stimme halt laut in meinem
Kopf.
Alex reicht mir ein Glas Wasser und ich trinke es am Tisch sitzend in einem Zug
aus.
„Was sollte das gestern?“, fragt Alex ohne Umschweife.
„Was meinst du?“
“Na die Typen?“
„Da fragst du die Falsche, ich hab die nicht bestellt.“
„Aber du hast dich von einem abfüllen und ...“
„Und?“
„So wie ich das sehe, hat er dir was in den Drink gekippt, du warst nicht mehr
ansprechbar. Vicky und Rita-Sue ebenso wenig.“
„Wie gesagt, ich hab die nicht engagiert und wegen der Drogen im Drink, frag
die, die noch aufrecht standen, nicht mich.“
„Es hätte sonst was passieren können.“
„Ja, ist zum Glück nicht, oder doch?“
„Nein, du bist im Auto weggetreten und vorhin erst aufgewacht.“
„Von wegen, aus dem Bett hast du mich gejagt.“
„Sieh mal auf die Uhr.“
„Mist, schon halb zwei. Wo sind denn alle?“
„Dad ist in der Werkstatt, wo sonst und Mom macht Beautytag. Die sehen wir erst
heute Abend wieder. Sie hat mich gezwungen, auf dich aufzupassen, bevor du
wieder was anstellst.“
„Das hat sie nicht gesagt.“
„So ähnlich aber. Ok, auf geht’s.“
„Wohin?“
„Das wirst du schon sehen.“
Ich schlurfe wieder nach oben, hole meine Tasche, setze meine Sonnenbrille auf
und gehe wieder runter. Alex wartet im Auto mit laufendem Motor, den ich durch
die offen stehende Tür bis oben hören kann. Kaum, dass ich sitze, preschen wir
auch schon los. Ich nuckele hin und wieder an der Wasserflasche, die ich mir im
Flur noch schnell gegriffen hatte, während wir die Straße von der Küste weg
fahren. Vor einem abgelegenen Haus, das ich nur einmal in meinem Leben gesehen
habe, hält er an.
„Du willst zu deinem Großvater?“, frage ich überrascht.
„Nein, du.“
„Wieso ich?“
„Weil er dich sehen will.“ Alex steigt aus, läuft um den Wagen herum und öffnet
meine Tür.
„Was will er?“
„Das wird er dir schon sagen.“
Wir betreten ohne anzuklopfen das Haus. Es ist kühl, denn alle Fenster sind
abgedunkelt.
„Grandpa?“
„Ich bin hier Junge.“
Alex greift meine Hand und führt mich ins Wohnzimmer. Dort sitzt der alte Mann
in einem ramponierten Ledersessel und sieht fern.
„Ich hab sie mitgebracht“, sagt Alex und stellt mich vor seinen Großvater.
„Anna“, sagt Großvater Lou.
„Hallo Mr. Walker.“
„Du bist hübsch geworden und nicht mehr so knochig, wie damals.“
„Danke.“
„Setz dich“, bittet er mich und Alex schiebt mir den Hocker hin, der ein wenig
abseits steht. „Du willst sicher wissen, warum ich dich herbringen ließ.“
„Ja.“
„Alex, lass uns kurz allein.“ Dieser verlässt wortlos das Zimmer und mir wird
noch mulmiger, als mir sowieso schon ist .
„Als Alex mir berichtete … “, beginnt er, “... dass du wieder da wärst, war ich
doch sehr überrascht.“
„Ich bin nicht wieder da, ich bin Gast einer Hochzeit, ich wurde eingeladen.“
„Ja, von Rita-Sue. Ich weiß nicht, was Felix an ihr findet, aber nun ja, er ist
auf jeden Fall glücklich.“
„Richtig“, antworte ich und rutsche unruhig auf dem Hocker hin und her .
„Aber ich frage mich, warum bist du wirklich hier?“
„Wegen der Hochzeit.“
„Ist das der einzige Grund? Oder plagt dich das schlechte Gewissen.“
„Das schlechte Gewissen? Wem gegenüber?“
„Alex.“
„Nein.“
„Nein? Du hast meinem Enkel das Herz gebrochen“, ruft er aus und mit einem Ruck
rutscht er an den Rand des Sessels und guckt mich mit seinen alten, müden Augen
strafend an. Der laute Ton schmerzt in meinem Kopf.
„Das mag sein, aber wer so dickköpfig ist, und alle Bemühungen abblockt, bei
dem brauche ich kein schlechtes Gewissen haben.“
„Dickköpfig?“
„Ja, Alex hat alles ignoriert, was ich unternommen habe, meine Briefe, meine
Anrufe...“
„Von Deutschland aus.“
„Ja.“
„Siehst du, da liegt das Problem, du warst nicht hier.“
„Ich war siebzehn Jahre alt, ich konnte nicht hier sein.
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