Undank Ist Der Väter Lohn.
den kleinen Gästen schon im voraus gesagt worden war, daß das Geburtstagskind nichts brauchte, was die Soldaten an der Front nicht dringender brauchten – wurden einem sanft, aber unnachgiebig aus der Hand genommen und würdigeren Händen übergeben. Es waren harte Zeiten gewesen, aber aus dieser Härte hatte sie Charakterstärke gewonnen. Und die hätte sie an ihre Tochter weitergeben müssen.
Nan hatte in allem ihrer Mutter nachgeeifert, und ihre Belohnung war kühle, aber dennoch als kostbar empfundene Zustimmung gewesen, die sich stets nur in einem kurzen majestätischen Nicken geäußert hatte. Für dieses beifällige Nicken hatte sie gelebt. Es sagte: »Kinder lernen von ihren Eltern, und du, Nancy, mein Kind, hast perfekt gelernt.«
Eltern brachten Ordnung in die Welt ihrer Kinder, gaben ihr einen Sinn. Kinder lernten von ihren Eltern, wer sie waren und wie sie sein sollten. Was also hatte Nicola in ihren Eltern gesehen, daß sie so geworden war, wie sie war?
Nan wollte diese Frage nicht beantworten. Weil sie dann den Gespenstern ins Gesicht hätte sehen müssen, die sie nicht sehen wollte. Sie ist wie ihr Vater, flüsterte eine innere Stimme. Aber nein, nein. Sie wandte sich vom Fenster ab.
Sie stieg die Treppe hinauf zu den Privaträumen der Familie und fand ihren Mann im gemeinsamen Schlafzimmer. Dort saß er in einem Sessel in der Dunkelheit, den Kopf in die Hände gestützt.
Er sah nicht auf, als sie die Tür hinter sich schloß. Sie ging durch das Zimmer zu ihm, kniete neben dem Sessel nieder und legte ihre Hand auf sein Knie. Sie sagte nicht, was sie sagen wollte, daß Christian-Louis vor Wochen Tannenzapfen verbrannt hatte, daß sich der beißende Geruch im Erdgeschoß stundenlang gehalten hatte, und er – Andy – kein Wort darüber verloren hatte, weil er den Geruch überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Sie sagte nichts von alledem, weil sie nicht darüber nachdenken wollte, was es bedeutete. Statt dessen sagte sie: »Andy, ich will nicht, daß wir einander auch noch verlieren.«
Da erst blickte er auf. Sie sah mit Schrecken, wie stark er in den letzten Tagen gealtert war. Von seiner natürlichen Vitalität war nichts geblieben. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß der Mann, den sie vor sich sah, von Padleyschlucht nach Hathersage joggte, auf seinen Skiern den Whistler Mountain hinuntersauste, oder mit seinem Mountainbike den Bissington Trail entlangraste, ohne ins Schwitzen zu geraten. Er sah aus, als würde er es noch nicht einmal mehr allein die Treppe hinunter schaffen.
»Laß mich doch irgend was für dich tun«, murmelte sie und hob die Hand zu seiner Schläfe, um sein Haar zurückzustreichen.
»Sag mir, was du damit gemacht hast«, versetzte er.
Ihre Hand sank herab. »Womit?«
»Das brauche ich dir nicht zu sagen. Hast du ihn heute nachmittag mit ins Moor rausgenommen? Ja, so muß es sein. Eine andere Erklärung gibt es ja gar nicht.«
»Andy, ich weiß wirklich nicht, was du –«
»Hör auf«, unterbrach er sie. »Sag es mir, Nan. Und sag mir, warum du behauptet hast, du hättest nicht gewußt, daß sie einen hatte. Das möchte ich vor allem wissen.«
Nan spürte es eher, als daß sie es hörte – ein merkwürdiges Summen in ihrem Kopf. Es war beinahe so, als befände sich Nicolas Pager irgendwo mit ihnen im Zimmer. Unmöglich natürlich. Er lag dort, wo sie ihn gelassen hatte: in einer tiefen Spalte zwischen zwei Kalksteinbrocken im Hathersage Moor.
»Andy, Liebster«, sagte sie, »ich weiß wirklich nicht, wovon du redest. Ehrlich, ich habe keine Ahnung.«
Er sah sie prüfend an. Sie hielt seinem Blick stand. Sie wartete darauf, daß er direkter werden, ihr die Frage mit einer Deutlichkeit stellen würde, der sie nicht ausweichen konnte: Sie war nie eine gute Lügnerin gewesen; sie konnte zwar Verwirrung vortäuschen und die Ahnungslose spielen, aber mehr nicht.
Er fragte nicht. Er ließ den Kopf an die Rückenlehne des Sessels sinken und schloß die Augen. »Mein Gott«, flüsterte er. »Was hast du getan?«
Sie antwortete nicht. Er hatte Gott angerufen, nicht sie. Und Gottes Wege waren unerforschlich, selbst für den Gläubigen. Aber sein Leiden schnitt ihr so tief ins Herz, daß sie wenigstens versuchen wollte, es zu lindern. Ein verschleierter Hinweis schien ihr das richtige zu sein. Sollte er damit anfangen, was er wollte.
»Es darf keine Komplikationen geben«, murmelte sie. »Wir müssen zusehen – soweit das in unserer Macht steht –, daß alles
Weitere Kostenlose Bücher