Undank Ist Der Väter Lohn.
Strümpfe. Sie sah mit kokettem Blick über die Schulter in die Kamera, das blonde Haar fiel ihr zerzaust ums Gesicht. Unterhalb ihrer hochhackigen Schuhe mit den bleistiftdünnen Absätzen war eine Telefonnummer angegeben, mit den von Hand geschriebenen Worten »Ruf mich an!« daneben.
»Großer Gott!« flüsterte Lynley. Und als Nkata sein Telefongespräch beendete, sagte er: »Das müssen Sie mir noch einmal von Anfang bis Ende erklären, Winnie«, als ob eine Erklärung bei hellem Tageslicht diejenige, die er mitten in der Nacht per Telefon von Nkata erhalten hatten, unwirksam machen würde.
»Da holen wir am besten Barb. Sie hat die Kopfarbeit geleistet.«
»Havers?« Lynleys Ton bremste Nkata, der schon zum Telefon greifen wollte. »Winston, ich hatte eine Anweisung gegeben. Ich hatte ihr gesagt, sie soll am Computer arbeiten. Sie haben mir versichert, daß sie das tut. Wieso hat sie bei diesem Teil der Ermittlungen die Hände im Spiel?«
Nkata breitete seine Hände aus, ein Bild der Unschuld. »Sie mischt da nicht mit. Ich hab den Karton mit den Karten in ihrem Wagen verstaut, als ich gestern abend von Battersea hierher zurückgekommen bin. Ich bin kurz bei ihr vorbeigegangen, um zu sehen, wie sie am Computer vorankommt. Sie hat gefragt, ob sie die Karten mit nach Hause nehmen könnte. Um sie durchzusehen. Der Rest ... sie kann Ihnen selbst erzählen, was dabei rausgekommen ist.«
Nkatas Miene, so treuherzig wie die eines Kindes, das vor dem Nikolaus steht, verriet, daß das nicht die ganze Geschichte war. Lynley seufzte. »Dann holen Sie sie.«
Nkata griff zum Telefon. Er tippte die Nummer ein, und während er auf die Verbindung wartete, erklärte er mit feierlichem Ernst: »Sie sitzt jetzt am Computer. Seit heute morgen um sechs schon.«
»Ich werde das gemästete Kalb schlachten«, versetzte Lynley.
Nkata, in Bibelzitaten nicht bewandert, sagte unsicher: »Okay«, und dann ins Telefon: »Der Chef ist hier, Barb.« Das war alles.
Während sie auf Havers warteten, sah Lynley sich die zweite Postkarte an. Aber er wollte nicht an den Kummer denken, der Nicola Maidens Eltern bevorstand, deshalb wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Nkata zu. »Sonst noch was heute morgen, Winnie?«
»Die Coles haben sich bei mir gemeldet. Die Mutter und die Schwester. Das Telefongespräch, das ich eben geführt habe, war mit der Schwester.«
»Und?«
»Die Jacke des Jungen fehlt.« »Jacke?«
»Richtig. Eine schwarze Lederjacke. Er hat sie immer beim Motorradfahren getragen. Als Sie Mrs. Cole die Liste mit den Sachen des Jungen gegeben haben – die Quittungen, Sie wissen schon –, war die Jacke nicht dabei. Sie vermuten, daß jemand auf der Dienststelle in Buxton sie geklaut hat.«
Lynley rief sich die Fotos vom Tatort ins Gedächtnis. Er ging im Geist die einzelnen Gegenstände durch, die er sich in Buxton angesehen hatte. Dann sagte er: »Sind die beiden ganz sicher, was diese Jacke angeht?«
»Sie behaupten, er habe sie immer getragen. Und er wäre keinesfalls nur im T-Shirt bis nach Derbyshire raufgefahren. Ein festeres Kleidungsstück scheint er aber den Quittungen zufolge nicht bei sich gehabt zu haben. Er hätte sich niemals nur im T- Shirt auf seine Maschine gesetzt, haben sie gesagt.«
»Aber es war ja nicht kalt.«
»Die Jacke sollte ihn nicht nur warm halten. Sie war auch ein Schutz bei Stürzen. Dann hätte er sich nicht so viele Schrammen geholt, meinten sie. Und jetzt möchten sie wissen, wo die Jacke geblieben ist.«
»Sie war nicht unter seinen Sachen in der Wohnung?«
»Barb hat seine Klamotten durchgesehen. Sie kann Ihnen sagen –« Nkata brach abrupt ab und machte ein betretenes Gesicht.
»Aha«, sagte Lynley nur.
»Sie hat hinterher die halbe Nacht am Computer gesessen«, beteuerte Nkata hastig.
»Ach, tatsächlich? Und wieso ist sie mit Ihnen in Coles Wohnung gefahren? Von wem stammte die glorreiche Idee?«
Barbaras Ankunft in diesem Moment enthob Nkata einer Antwort. Wie auf ein Stichwort trat sie ein, mit ihrem Heft in der Hand die Professionalität in Person, so korrekt gekleidet, wie Lynley sie noch nie gesehen hatte.
Sie ließ sich nicht wie gewohnt in den Sessel vor seinem Schreibtisch fallen. Sie blieb an der offenen Tür stehen, die Füße geschlossen, als stünde sie stramm. Auf Lynleys Frage nach der Jacke antwortete sie erst nach einer kleinen Pause, während der sie Nkata so gespannt ansah, als wäre sein Gesicht ein Barometer, von dem sich die Stimmung in Lynleys Büro
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