Undank Ist Der Väter Lohn.
hatte sie keine Kinder, obwohl es ihr an Gelegenheit nicht gefehlt hatte. Und einen Hund hatte sie bisher auch nie gehabt.
»Ich möchte bei dir gern alles richtig machen, Benbow.« Der Mischling hob den Kopf mit dem zottigen hellbraunen Fell, das fast seine Augen verdeckte, und sah sie an. Dann drehte er sich herum und strebte dem Moor entgegen, der endlos erscheinenden Heide, die wie eine violette Decke ausgebreitet über der Landschaft lag.
Normalerweise hätte selbst Phoebe den Hund ohne weitere Überlegung frei laufen lassen. Doch dieses scheinbar stille, glatte Meer violetter Blüten war trügerisch. Alte Sandsteinbrüche bildeten unerwartete Krater in der Landschaft, in die der Hund abstürzen konnte, und die Höhlen, Bleigruben und Felsspalten waren für jedes Tiere eine unwiderstehliche Verlockung. Unwiderstehlich genug für Benbow, so fürchtete Phoebe Neill, um ihn allen Gehorsam vergessen zu lassen. Doch sie war bereit, Benbow in einem der vielen Birkenhaine, die in unregelmäßiger Anordnung das Moor sprenkelten, freien Lauf zu lassen. Sie nahm ihn also fest an der Leine und schlug den Weg nach Nordwesten ein, wo die berühmteste dieser Birkengruppen stand.
Es war ein schöner Morgen, aber es waren noch keine Wanderer unterwegs. Die Sonne stand tief am östlichen Himmel, so daß Phoebes Schatten weit von ihr strebte, als wollte er den kobaltblauen Horizont erreichen, an dem sich weiße Schäfchenwolken zusammendrängten. Es war fast windstill, nur ein leichtes Lüftchen strich ab und zu gegen Phoebes Windjacke und blies Benbow das strubbelige Fell aus den Augen. Die sanfte Brise war, soweit Phoebe das wahrnehmen konnte, vollkommen geruchlos. Und die einzigen Geräusche waren das Krächzen einer unfreundlichen Rabenschar irgendwo auf dem Moor und das Blöken von Schafen in der Ferne.
Eifrig schnüffelnd trottete Benbow vor ihr her, die Nase am Boden, um jedes Stück Weg zu erforschen, einschließlich der Heidekrautbüschel, die den Fußpfad begrenzten. Als Stephen überhaupt nicht mehr aus dem Bett hatte aufstehen können, hatte Phoebe dreimal täglich einen Spaziergang mit dem Hund unternommen, und er war immer brav an der Leine gegangen. Auch jetzt brauchte sie sich kaum um ihn zu kümmern, brauchte ihn weder hinter sich herzuziehen noch zurückzuhalten, und so hatte sie bei diesem Ausflug ins Moor die Muße zu beten.
Sie betete nicht für Stephen Fairbrook. Sie wußte, daß Stephen seinen Frieden gefunden hatte und das Unvermeidliche geschehen und nicht mehr zu ändern war. Aber sie betete um besseres Verstehen. Sie wollte wissen, warum diese Geißel über die Menschheit gekommen war, die die besten, die klügsten und häufig die, die am meisten zu geben hatten, tötete. Sie wollte wissen, was sie folgern sollte aus dem Tod junger Menschen, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen, aus dem Tod unschuldiger Kinder, die das Unglück hatten, von infizierten Müttern geboren zu werden, und aus dem Tod dieser unglückseligen Mütter selbst.
Anfangs hatte Phoebe geglaubt, in dieser Symphonie des Todes, die sie in den letzten Jahren begleitet hatte, müsse eine Botschaft enthalten sein. Aber sie begann allmählich zu erkennen, daß dieser Tod zu viele verschiedene Gesichter hatte. Er suchte sich seine Opfer in zu unterschiedlichen Lebenskreisen, als daß sich ein Muster hätte herausbilden lassen. Aus jahrelanger Erfahrung wußte sie, daß der Tod keine Unterschiede machte zwischen Großen und Kleinen, Bedeutenden und Unbedeutenden, Reichen und Armen, Starken und Schwachen. Mochte man noch soviel Macht, Prestige oder Einfluß besitzen, der Tod ließ nicht mit sich handeln. In dieser Art des Sterbens jedoch zeigte der Tod sein schlimmstes Gesicht.
So ging und betete sie. Und wenn Benbow Lust bekam, ein wenig mehr Tempo zu machen, hielt sie bereitwillig mit. Bald diesem, bald jenem Pfad folgend, einmal hier abbiegend, einmal dort, wanderten sie immer weiter ins Moor hinein. Phoebe hatte keine Sorge, sich zu verlaufen. Sie wußte, daß sie ihre Wanderung südöstlich eines kleinen Sandsteinmassivs begonnen hatten, das den Namen Agricola’s Throne trug. Es waren die Überreste eines einst mächtigen römischen Forts, ein Aussichtsplatz, der von der Form her einem riesigen Thronsessel glich und sich am Rand des Moors erhob. Wer ihn bei einer Wanderung im Blick behielt, konnte sich kaum verlaufen.
Sie waren vielleicht eine Stunde marschiert, als Benbow, der bisher vergnügt schnuppernd vor sich hin
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