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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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eifrig mit der Pinzette geübt haben.«
    Er lächelte. »Sie erwartet so wenig. Und doch scheint das Leben ihr so viel zu geben.«
    »Vielleicht ist das der Grund«, meinte Barbara. »Wenn man nicht ständig nach dem Besonderen sucht, ist man ganz zufrieden mit dem, was man findet.«
    »Weise Worte«, sagte er.
    Weisheit ist billig, dachte Barbara. Sie kramte in dem braunen Hefter auf dem Tisch und zog die Namensliste vom Soho Square heraus. Die Pflicht ruft, sollte ihm die Geste sagen. Und Azhar verstand sich gut darauf zwischen den Zeilen zu lesen.
    Die Fahrt von Sir Adrian Beatties Villa zu Vi Nevins Maisonettewohnung war kaum mehr als eine kleine, von geringem Verkehr begünstigte Spritztour die Fulham Road hinunter. Sie dauerte nicht lange, jedoch lange genug für Lynley, um über das nachzudenken, was er von Beattie gehört hatte, und sich bewußt zu machen, wie er das Gehörte empfand. Nach Jahren bei der Kripo war ihm klar, daß es bei den Ermittlungen eigentlich nicht seine Aufgabe war, sich über seine persönlichen Empfindungen in bezug auf die Enthüllungen anderer Gedanken zu machen, schon gar nicht bezüglich Beatties. Aber er konnte einfach nicht anders. Und er rechtfertigte sich vor sich selbst, indem er sich sagte, daß solche Gedanken ganz natürlich seien: sexuelle Abartigkeit war ebensosehr eine Kuriosität wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Es schauderte einen vielleicht beim Anblick einer solchen Abnormität; aber man sah trotzdem hin, wenn auch noch so flüchtig.
    Und eben das tat er jetzt: Er betrachtete das abartige Verhalten zunächst unter dem Gesichtspunkt der Anomalie, um dann die Möglichkeit zu prüfen, ob sexuelle Abartigkeit als solche das relevante Detail war, das ihm den Weg zu Nicola Maidens Mörder weisen würde. Er hatte bei seinen Bemühungen, sexuelle Abartigkeit als sachdienlichen Hinweis zu sehen, nur ein Problem: Er konnte seinen Blick nicht von ihr selbst lösen.
    Wie kommt das? fragte er sich. Fühlte er sich davon erregt? War er moralisch entrüstet? Fasziniert? Entsetzt? Verführt? Was?
    Er hätte es nicht sagen können. Er wußte natürlich, daß es sie gab: das, was einige die dunkle Seite der Begierde nennen würden. Er hatte zumindest von einigen Theorien gehört, die Erforscher der Psyche aufgestellt hatten, um dieses Phänomen zu erklären. Je nachdem, welcher Lehrmeinung man sich anschließen wollte, konnte Sado-Masochismus als erotische Blasphemie betrachtet werden, die sexuellem Protest entsprang; als ein Laster der Oberschicht, deren Kinder ihre Entwicklungsjahre in Internatsschulen verbrachten, wo körperliche Züchtigung an der Tagesordnung war – und je stärker ritualisiert, desto besser; als eine Trotzreaktion auf eine konservative Erziehung; als ein Ausdruck persönlichen Abscheus gegen das Vorhandensein sexueller Triebe; oder als die einzige Möglichkeit körperlicher Nähe für jene, deren Angst vor Intimität größer war als ihre Bereitschaft, diese Angst zu überwinden. Aber er wußte nicht, warum ihn der Gedanke an sexuelle Abartigkeit gerade in diesem Moment so stark beschäftigte. Und die Frage nach dem Grund dafür quälte ihn.
    Was hat das alles mit Liebe zu tun? hatte Lynley den Arzt fragen wollen. Was hatten Schläge, Schmerzen, Blut und Demütigung mit dem überwältigenden und – nun ja, zugegeben, es war lächerlich romantisch, aber er würde das Wort dennoch verwenden – überirdischen Gefühl des Glücks zu tun, das mit dem Liebesakt einherging? War nicht dieses Glücksgefühl das Ziel, dem zwei Menschen entgegenstreben sollten, wenn sie miteinander schliefen? Oder war er ein viel zu unerfahrener junger Ehemann, um sich irgendein Urteil darüber zu erlauben, was zwischen erwachsenen Menschen, die sich einig waren, als liebende Hingabe galt? Und hatte Sex überhaupt etwas mit Liebe zu tun? Sollte er überhaupt mit Liebe zu tun haben? Oder war genau das der allgemeine Irrtum, daß einer Körperfunktion Bedeutung beigemessen wurde, die eigentlich nicht mehr Bedeutung haben sollte als Zähneputzen?
    Aber Moment, an diesem Punkt stimmten die Überlegungen nicht mehr. Man brauchte sich ja die Zähne nicht zu putzen. Man empfand noch nicht einmal das Bedürfnis danach. Aber eben das Empfinden des Bedürfnisses – des langsamen Wachsens einer Spannung, die zu Beginn nur ganz zart war und schließlich unmöglich zu ignorieren – sprach die wahre Sprache. Denn es war das Empfinden dieses Bedürfnisses, das einen Hunger hervorrief, der unbedingte

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