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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Befriedigung verlangte. Und dieses Verlangen nach Befriedigung trieb einen dazu, alle Hindernisse zu überwinden, die der Erfüllung entgegenstanden: In Verfolgung seiner Leidenschaft setzte man sich über Ehre, Verantwortung, Tradition, Treue und Pflicht hinweg. Und warum? Weil man begehrte.
    Lynley brauchte nur etwas mehr als zwanzig Jahre zurückzudenken, um zu erkennen, wie diese Begierde seine eigene Familie zerrissen hatte. Oder zumindest, wie er selbst zugelassen hatte, daß die Begierde – die er damals nur unvollkommen verstanden hatte – seine Familie zerstörte. Ehre hatte seine Mutter an seinen Vater gebunden. Verantwortung und Tradition hatten sie an den Familiensitz und die Generationen von Asherton-Frauen gebunden, die das Haus verwaltet und seinen Glanz bewahrt hatten. Die Pflicht hatte von ihr verlangt, sich um ihren kränkelnden Mann und das Wohl ihrer Kinder zu kümmern. Und die Treue hatte von ihr gefordert, dies alles zu tun, ohne offen oder auch nur insgeheim zuzugeben, daß sie selbst vielleicht etwas ganz anderes – oder mehr – wollte als dieses Leben, für das sie sich als achtzehnjährige Braut entschieden hatte. Sie war mit allem gut fertiggeworden, bis die Krankheit ihren Mann aufzuzehren begann.
    Selbst dann hatte sie es geschafft, die Familie zusammenzuhalten, bis sie sich angesichts der täglichen Notwendigkeit, fertigwerden zu müssen, eine Rolle spielen zu müssen, anstatt sie einfach leben zu können, nur noch Erlösung gewünscht hatte. Und die Erlösung war gekommen, wenn auch nur vorübergehend.
    Flittchen und Hure, hatte er sie genannt. Und er hätte sie geschlagen – die Mutter, die er anbetete –, hätte sie ihn nicht zuerst geschlagen und mit soviel Heftigkeit, Frustration und Zorn, daß der Schlag eine ungeheure Kraft bekommen hatte.
    Warum habe ich auf ihre Untreue so heftig reagiert? fragte Lynley sich jetzt, während er bremste, um einem Pulk von Fahrradfahrern auszuweichen, die nach rechts in die Northend Road einbogen. Er beobachtete sie müßig – wie Profis in ihren Helmen und Spandex-Anzügen –, während er über die Frage nachdachte, nicht nur, um die Gründe seines jugendlichen Verhaltens zu erforschen, sondern auch um zu sehen, was die Antwort für den vorliegenden Fall bedeutete. Die Antwort, sagte er sich, hatte mit Liebe zu tun und mit den versteckten und häufig unvernünftigen Erwartungen, die mit Liebe einherzugehen schienen. Wie oft wünschen wir uns, daß das Objekt unserer Liebe eine Erweiterung unseres eigenen Ichs ist, dachte er. Und wenn uns dieser Wunsch nicht erfüllt wird – weil er gar nicht erfüllt werden kann –, treibt uns die Frustration, etwas zu unternehmen, um unseren inneren Aufruhr zu beruhigen.
    Aber es gab mehr als eine Art von innerem Aufruhr, wie sich bei näherer Betrachtung der Beziehungen zeigte, die Nicola Maiden unterhalten hatte. Gewiß hatte in ihrem Leben – und sehr wahrscheinlich bei ihrem Tod – unbefriedigtes Verlangen eine Rolle gespielt, aber es war nicht zu übersehen, daß auch Eifersucht, Rachsucht, Habgier und Haß ihren Platz gehabt hatten. Alle diese lähmenden Leidenschaften verursachten Aufruhr. Und jede von ihnen konnte einen Menschen zum Mord treiben.
    Die Rostrevor Road war, wie Lynley feststellte, nicht einmal einen Kilometer südlich vom Fulham Broadway. Die Tür zu Viola Nevins Haus stand offen, als er die Vordertreppe heraufkam. Ein Zettel am Türpfosten erklärte, warum; ebenso der Lärm aus einer Erdgeschoßwohnung, deren Tür ebenfalls offenstand. »Zu Tildy und Steve bitte nach hinten gehen«, stand mit Filzstift geschrieben auf einem dicken Blatt Papier. »Rauchen bitte nur im Freien« stand darunter.
    Unter lautem Gelächter und Gegröle ergötzte sich die Partygesellschaft an den zweifelhaften musikalischen Talenten einer unidentifizierbaren Männergruppe, die ihren Geschlechtsgenossen mit heiseren Stimmen riet: »Gebrauch sie, mißbrauch sie, nimm sie dir und weg mit ihr«, und das Ganze zur Begleitung von Schlagzeug, Streichern und Blech. Nicht besonders wohltönend, fand Lynley. Tja, er wurde älter – und leider auch spießiger, als gedacht. Er eilte die Treppe hinauf.
    Das Treppenhaus war düster, und da es draußen inzwischen dunkel geworden war, fiel auch durch die Fenster im Zwischenstock kein Licht. Sobald Lynley die obere Etage erreicht hatte, machte er Licht und ging auf die Tür zu Vi Nevins Wohnung zu.
    Die Frau hatte ihnen nicht die Wahrheit darüber gesagt, wie sie

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