Undank Ist Der Väter Lohn.
Finanzierung seines ausschweifenden Lebenswandels nicht ausgereicht hatte. Und mehr als einmal, besonders wenn ihre Eltern es abgelehnt hatten, eine ihrer Forderungen zu erfüllen, hatte sie verkündet, daß sie bestimmt nie in eine Situation kommen würde, wo sie an allen Ecken und Enden knausern und sparen mußte und, statt sich hin und wieder eine kleine Freude zu gönnen, zu Hause sitzen würde, um Bettlaken und Kissenbezüge auszubessern, Hemdenkragen zu wenden und Strümpfe zu stopfen. »Paß nur auf, daß es dir nicht mal so wie Großvater ergeht, Dad«, hatte sie des öfteren zu Andy gesagt. »Ich hab nämlich vor, mein ganzes Geld für mich selbst auszugeben.«
Dennoch war es nicht wirklich Geldgier gewesen, die ihr Verhalten bestimmt hatte. Vielmehr schien sie getrieben von einer inneren Leere, die sie mit der Anhäufung von Besitz zu füllen gesucht hatte. Wie oft hatte er versucht, ihr das grundlegende Dilemma des Menschen zu erklären. Wir werden von Eltern in Familien hineingeboren, sind also anderen Menschen verbunden, aber letztlich sind wir eben doch allein. Und dieses Urgefühl des Alleinseins erzeugt ein Loch in unserem Inneren. Dieses Loch kann nur durch die Entwicklung von Geist und Seele gefüllt werden. »Ja, aber ich will das Motorrad haben«, hatte sie erwidert, als hätte er nicht soeben versucht, ihr zu erklären, warum der Erwerb eines Motorrads nicht zur Besänftigung eines Geistes taugte, der ruhelos nach Bestätigung suchte. Oder die Gitarre, antwortete sie vielleicht. Oder die goldenen Ohrringe, die Reise nach Spanien, das schicke Auto. »Wenn genug Geld da ist, um es zu kaufen, versteh ich nicht, warum wir es nicht tun sollten. Was haben Geist und Seele damit zu tun, ob man das Geld hat, ein Motorrad zu kaufen, Dad? Ich brauche kein Geld für meine Seele. Was soll ich denn mit Geld tun, wenn ich welches habe? Soll ich es vielleicht wegschmeißen?« Und dann pflegte sie alle möglichen Leute aufzuzählen, die dank Leistung oder gesellschaftlicher Stellung über große Vermögen verfügten: die königliche Familie, ehemalige Rockstars, Industriekapitäne und Großunternehmer. »Die haben Häuser und Autos und Schiffe und Flugzeuge, Dad«, pflegte sie zu sagen. »Und die sind auch nie allein. Und sie sehen auch nicht so aus, als hätten sie ein Riesenloch in ihrem Inneren, wenn du mich fragst.« Nicola konnte sehr wortgewandt und überzeugend sein, wenn sie etwas wollte; und ganz gleich, was er sagte, es reichte nie aus, ihr klarzumachen, daß sie lediglich das äußere Leben dieser Menschen sah, deren materiellen Besitz sie so bewunderte. Wer sie wirklich waren – und was sie fühlten –, das konnte niemand außer ihnen selbst sehen. Und wenn sie endlich bekommen hatte, was sie wollte, war sie unfähig zu erkennen, daß es ihr nur flüchtige Befriedigung brachte. Der Blick dafür war ihr verstellt von dem Verlangen nach dem nächsten Objekt, von dem sie glaubte, es würde ihre Seele besänftigen.
Und alles das – was Nicola an sich schon zu einem schwierigen Kind machte – ging Hand in Hand mit ihrem Hang zu Risiko und Abenteuer. Das Vorbild dazu hatte er, Andy, ihr geliefert: Sie hatte miterlebt, wie er in den Jahren seiner Tätigkeit als verdeckter Ermittler in immer neue Rollen geschlüpft war, sie hatte die Geschichten aufgesogen, die seine Kollegen bei Tisch erzählt hatten, nachdem reichlich Wein geflossen war. Die andere Seite dieser tollkühnen Unternehmungen, die sie so sehr faszinierten, hatten er und Nan ihr bewußt verheimlicht. Sie hatte nie erfahren, welch hohen Preis ihr Vater gezahlt hatte, welch schwere gesundheitliche Schäden er erlitten hatte unter dem Zwang ewiger Verstellung und Täuschung, dem seine Seele nicht hatte standhalten können. Sie sollte ihren Vater als stark, vollkommen und unerschütterlich sehen. Alles andere würde sie in ihrem Urvertrauen erschüttern, hatten Andy und Nan geglaubt.
Es war daher nur natürlich gewesen, daß Nicola sich nichts dabei gedacht hatte, als es darum ging, ihm die Wahrheit über ihre Zukunftspläne zu sagen. Sie hatte ihn angerufen und gefragt, ob er nach London kommen würde. »Machen wir uns einen schönen Tag, Dad«, hatte sie gesagt. Hocherfreut, daß seine hübsche Tochter ihn sehen wollte, war er nach London gefahren. Sie würden einen herrlichen Tag miteinander verbringen – er sei zu allen Schandtaten bereit, hatte er gesagt –, und dann würde er gleich einen Teil ihrer Sachen für den Sommer nach
Weitere Kostenlose Bücher