Undank Ist Der Väter Lohn.
antwortete Lynley.
»Inspector Hanken sorgt für die Sicherheit des anderen Herrn.«
»Des anderen ...?«
»O mein Gott.« Samantha, die neben Julie stand, riß ihn abrupt von den rautenförmigen Fenstern der Langen Galerie weg. »Setz dich hin, Julie. Hier. Am Kamin. Den kann man von draußen nicht sehen, und selbst wenn jemand hier reinstürmt, bist du zu weit von der Tür entfernt ... Julie ... Julie! Bitte!«
Julian ließ sich von ihr mitziehen. Er war wie betäubt. Er sagte:
»Was genau hat das zu bedeuten? Glaubt Andy etwa, ich
könnte ... Andy?«
Am liebsten wäre er in Tränen ausgebrochen, so kindisch und absurd es war. Plötzlich brachen die Ereignisse der letzten sechs Tage, seit er Nicola gebeten hatte, ihn zu heiraten, wie eine gewaltige Lawine über ihn herein, und er konnte nichts, nicht die geringste Kleinigkeit, mehr ertragen. Dieser letzte Schlag, daß der Vater der Frau, die er geliebt hatte, im Ernst glauben konnte, er hätte sie getötet, besiegte ihn endgültig. Wie merkwürdig: Er war nicht daran zerbrochen, daß sie seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hatte; er war nicht an den Eröffnungen zerbrochen, die sie ihm an jenem Abend gemacht hatte; er war nicht an ihrem Verschwinden zerbrochen, an der vergeblichen Suche nach ihr, an ihrem Tod. Doch dieser Verdacht ihres Vaters traf ihn aus irgendeinem Grund wie ein Todesstoß. Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, und bei der Vorstellung, vor diesem Fremden, vor seiner Cousine, vor irgend jemandem zu weinen, schnürte sich ihm die Kehle zu.
Samantha legte ihm tröstend den Arm um die Schultern. Er spürte ihren hastigen Kuß an seiner Schläfe. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Du bist hier sicher. Und es ist doch völlig egal, was andere denken. Ich weiß die Wahrheit. Und das ist die Hauptsache.«
»Welche Wahrheit?« fragte Lynley vom Fenster her, wo er auf ein Zeichen zu warten schien, daß seine beiden Leute die Prüfung des Hauses abgeschlossen hatten. »Miss McCallin?« sagte er, als Samantha nicht antwortete.
»Ach, hören Sie doch auf«, fuhr sie ihn gereizt an. »Julian hat Nicola nicht getötet. Und ich auch nicht. Und auch sonst niemand in diesem Haus, falls Sie das glauben sollten.«
»Und was ist das für eine Wahrheit, von der Sie da eben sprachen?«
»Die Wahrheit über Julian. Daß er ein guter und anständiger Mensch ist, und daß gute und anständige Menschen sich im allgemeinen nicht gegenseitig umbringen, Inspector Lynley.«
»Auch dann nicht«, entgegnete Lynley, »wenn einer von ihnen nicht ganz so gut und anständig ist?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Aber ich vermute, Mr. Britton weiß es.«
Sie ließ ihren Arm von seinen Schultern gleiten. Julian spürte ihren forschenden Blick auf seinem Gesicht. Sie sagte zögernd seinen Namen und wartete darauf, daß er ihr erklären würde, was die Bemerkungen des Kriminalbeamten zu bedeuten hatten.
Und selbst jetzt brachte er das nicht fertig. Er sah sie noch immer vor sich – soviel lebendiger, als er je gewesen war, ein Mensch, der das Leben beim Schopf packte. Er konnte nicht ein Wort gegen sie sagen, auch wenn er noch soviel Grund dazu gehabt hätte. Nach den allgemeinen Vorstellungen und Maßstäben hatte Nicola ihn betrogen, und er wußte, wenn er von ihrem Leben in London erzählte, so wie sie es ihm geschildert hatte, könnte er sich als Opfer bezeichnen. Jeder, den er und Nicola gekannt hatten, würde in ihm ein Opfer sehen. Und es ließ sich in der Tat eine gewisse Genugtuung daraus schöpfen. Aber die Wahrheit war, daß er nur von denjenigen, die lediglich die äußeren Umstände kannten, als der Mann gesehen werden konnte, dem tiefes Unrecht zugefügt worden war. Wer Nicola so kannte, wie sie in Wahrheit gewesen war, würde wissen, daß er sich seinen ganzen Kummer selbst aufgeladen hatte. Nicola hatte ihn nicht ein einziges Mal belogen. Er hatte lediglich die Augen vor allem verschlossen, was er nicht hatte sehen wollen.
Es hätte sie nicht im geringsten gekümmert, wenn er jetzt die Wahrheit über sie erzählt hätte. Aber er würde es nicht tun. Weniger, weil er ihr Andenken schützen wollte, mehr um die Menschen zu schützen, die sie geliebt hatten, ohne alles über sie zu wissen.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte er zu Lynley. »Und ich verstehe nicht, warum Sie uns nicht einfach in Frieden lassen können.«
»Das werde ich nicht tun, solange nicht Nicola Maidens Mörder gefunden ist.«
»Dann suchen Sie
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