Undank Ist Der Väter Lohn.
seines Vaters Broughton Manor mit allem, was dazugehörte, erbte. Die Erkenntnis, daß sie ihr Leben lang ganz umsonst das »brave Kind« gewesen war – während Jeremy ein wildes Leben geführt hatte –, hatte Samanthas Mutter tief erbittert. Diese Erbitterung war noch gewachsen, als Jeremy und seine Frau im Laufe der Jahre in schneller Folge drei Kinder in die Welt setzten und das Familienerbe bei Alkohol- und Drogenexzessen verschleuderten, während in Winchester Jeremys einzige Schwester Sophie Privatdetektive engagierte, die sie regelmäßig über den ausschweifenden Lebenswandel ihres Bruders informieren mußten, und weinend und zähneknirschend die Hände rang, wenn sie die Berichte las.
»Man muß etwas unternehmen«, rief sie, »bevor er unsere Familie vollkommen in den Ruin treibt. So wie er sich aufführt, wird es bald nichts mehr zu vererben geben.«
Nicht, daß Sophie Britton McCallin das Geld ihres Bruders, das er sowieso längst durchgebracht hatte, gebraucht hätte. Sie schwamm im Geld dank ihres Mannes, der sich im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode schuftete, um den Strom nicht versiegen zu lassen.
In jener Zeit, als Samanthas Vater noch gesund und kräftig genug gewesen war, um in der familieneigenen Fabrik ein tägliches Arbeitspensum zu erledigen, das jeden normalen Sterblichen umgebracht hätte, war Samantha für die Monologe ihrer Mutter über das schwarze Schaf Jeremy taub gewesen. Doch Ton und Inhalt dieser Monologe hatten sich geändert, als Douglas McCallin an Prostatakrebs gestorben war. Mit der harten Realität menschlicher Vergänglichkeit konfrontiert, hatte Sophie die einzigartige Wichtigkeit familiärer Zusammengehörigkeit wiederentdeckt.
»Ich möchte meinen Bruder hier haben«, hatte sie gramgebeugt bei der Leichenwache geschluchzt. »Er ist mein einziger lebender Blutsverwandter. Er ist mein Bruder. Ich möchte ihn bei mir haben.«
Es war typisch für Sophie, ganz zu vergessen, daß sie in ihren eigenen beiden Kindern – und den Kindern ihres Bruders – noch ein paar andere Blutsverwandte hatte. Nein, sie sah eine Aussöhnung mit Jeremy als einzigen Trost in ihrem Schmerz.
Ja, ihr Schmerz gewann allmählich eine so allumfassende Präsenz, daß es bald keinen Zweifel mehr daran geben konnte, daß Sophie entschlossen war, Queen Victorias Trauer um Albert noch an Intensität zu übertreffen. Als Samantha dies schließlich erkannte, sagte sie sich, daß nur zielstrebiges Handeln den Frieden in Winchester wiederherstellen könne. Sie war deshalb nach Derbyshire gefahren, um ihren Onkel abzuholen, nachdem sie aus reichlich wirren Telefongesprächen geschlossen hatte, daß er nicht in der Verfassung war, die Reise in den Süden allein zu unternehmen. Aber als sie nach ihrer Ankunft in Broughton Manor gesehen hatte, wie es um ihn stand, war ihr klargewesen, daß sie ihn in diesem Zustand unmöglich ihrer Mutter präsentieren konnte.
Außerdem empfand es Samantha als eine Erleichterung, ihrer Mutter eine Weile fern zu sein. Der Tod ihres Mannes hatte Sophies Neigung zum Melodramatischen mehr Nahrung geliefert, als ihr sonst geboten wurde, und sie labte sich mit einem Gusto daran, daß Samantha nur noch völlig erschöpft resignieren konnte.
Natürlich trauerte auch Samantha um ihren Vater. Aber sie hatte schon vor langer Zeit zu spüren bekommen, daß Douglas McCallins Liebe in erster Linie dem Familienunternehmen, einer Keksfabrik, galt – nicht der Familie selbst –, und infolgedessen erschien ihr sein Tod weniger wie eine unwiderrufliche Trennung, sondern eher so, als ob er noch mehr Zeit als früher in der Fabrik verbrächte. Sein Leben war immer seine Arbeit gewesen. Er hatte sich ihr mit der Hingabe eines Mannes gewidmet, der das Glück gehabt hatte, seiner wahren Liebe bereits im Alter von zwanzig Jahren zu begegnen.
Jeremy hingegen hatte sich dem Alkohol hingegeben. An diesem besonderen Tag hatte er morgens um zehn mit trockenem Sherry angefangen. Zum Mittagessen hatte er eine Flasche Rotwein geleert. Und im Lauf des Nachmittags hatte er sich einen Gin Tonic nach dem anderen genehmigt. Für Samantha war es fast ein Wunder, daß er sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.
Im allgemeinen verbrachte er seine Tage in seinem Wohnzimmer, wo er bei geschlossenen Vorhängen und mit Hilfe eines uralten Acht-Millimeter-Filmprojektors endlose Spaziergänge auf den Straßen der Erinnerung unternahm. In den Monaten von Samanthas Aufenthalt in Broughton Manor hatte er
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