Undank Ist Der Väter Lohn.
welchem Punkt er sich in die Untersuchung eines Verbrechens einschaltete, im Laufe der Ermittlungen kam stets ein Moment, wo er spürte, daß er die Dinge selbst in Augenschein nehmen mußte. Nicht weil er an der Kompetenz der Kollegen gezweifelt hätte, sondern weil er nur dann ein Gefühl für einen Fall bekommen konnte, wenn er möglichst alles, was mit der Sache zu tun hatte, aus erster Hand erfuhr. Erst dann war er imstande, erstklassige Arbeit zu leisen. Fotos, Berichte und Indizienbeweise vermittelten zwar eine Menge. Manchmal jedoch verbarg der Ort, an dem ein Mord geschehen war, selbst vor dem schärfsten Beobachter gewisse Geheimnisse. Um ebensolche Geheimnisse aufzuspüren, pflegte Lynley die Stätte eines Mordes aufzusuchen. Aber wenn er in diesem Fall darauf bestand, den Tatort zu besichtigen, riskierte er, Hanken unnötig vor den Kopf zu stoßen. Und bisher gab nichts von dem, was Hanken gesagt oder getan hatte, zu der Vermutung Anlaß, daß er ein Detail übersehen haben könnte.
Eine Gelegenheit zur Besichtigung wird sich schon noch ergeben, dachte Lynley, beispielsweise wenn sie bei der Ermittlungsarbeit an diesem Fall getrennte Wege gehen würden. Und wenn diese Gelegenheit kam, würde er sie nutzen und sich den Ort, wo Nicola Maiden und der Junge gestorben waren, genau ansehen.
»Ach, ich denke, das ist überflüssig«, sagte Lynley. »Sie und Ihre Leute haben da schon gründliche Arbeit geleistet, soweit ich sehen kann.«
Energisch kauend betrachtete Hanken ihn einen Moment lang mit nachdenklichem Blick. »Kluge Entscheidung«, sagte er nickend und fuhr los.
Ihr Weg führte sie weiter am Ostrand des Moors entlang in nördlicher Richtung. Ungefähr anderthalb Kilometer hinter Tideswell wandten sie sich nach Osten. Heide und Ginster blieben zurück. Es ging wieder bergab, in ein Tal hinein, an dessen sanften Hängen sich die ersten Bäume herbstlich zu färben begannen. An einer Kreuzung, an der ein Wegweiser mit der seltsamen Aufschrift »Pestdorf« stand, bogen sie erneut nach Norden ab.
In weniger als einer Viertelstunde gelangten sie nach Maiden Hall, das von Linden und Kastanien geschützt an einem Hügelhang lag, nicht weit von der Padleyschlucht. Die Straße zog sich durch grünbewaldetes Land und dann am Rand der Schlucht entlang, auf deren Grund sich ein sprudelnder Bach zwischen von Farn und Gras überwucherten Hängen hindurchschlängelte. Die Abzweigung nach Maiden Hall tauchte unvermittelt vor ihnen auf, als sie in ein weiteres Waldstück hinein fuhren. Der Weg wand sich eine Hügelflanke hinauf und mündete in eine gekieste Auffahrt, die um das spitzgiebelige alte Steinhaus herum zu einem Parkplatz führte.
Dort hinten war auch der Eingang zum Hotel. Ein diskretes Schild mit der Aufschrift »Rezeption« führte sie durch einen Gang in das Haus selbst, wo gleich am Eingang ein kleiner Empfangstisch stand. Dahinter befand sich ein Salon, der offenbar als Foyer diente, und dort, wo ursprünglich Haustür und Vestibül gewesen waren, hatte man eine Bar eingebaut. Der Raum, dessen Wände bis auf halbe Höhe mit Eiche getäfelt und darüber mit einer cremefarbenen Tapete bespannt waren, war mit mehreren Polstergarnituren ausgestattet. Es war noch zu zeitig für den Aperitif, Gäste waren nirgends zu sehen. Aber Lynley und Hanken waren noch keine Minute da, als eine rundliche Frau – Augen und Nase vom Weinen gerötet – aus einem der anderen Räume kam, dem Speisesaal offenbar, und sie höflich begrüßte.
Zimmer seien keine mehr frei, erklärte sie ihnen, und da es in der Familie einen Todesfall gegeben habe, bleibe das Restaurant heute abend geschlossen. Sie könne ihnen jedoch gern verschiedene andere Restaurants in der Gegend empfehlen.
Hanken zeigte der Frau seinen Dienstausweis und stellte Lynley vor.
»Oh, da wollen Sie sicher mit den Maidens sprechen«, sagte sie.
»Ich hole sie sofort.« Damit eilte sie an den beiden Beamten vorbei durch den Empfangsraum und eine Treppe hinauf.
Lynley ging zu einer der beiden Nischen im Salon. Das Spätnachmittagslicht fiel durch die bleigefaßten Scheiben der Fenster, die auf die gewundene Auffahrt vor dem Haus und eine Rasenfläche hinausgingen, von der nach der Trockenheit der vergangenen Monate nur noch eine ausgedörrte Masse geknickter Halme übriggeblieben war. Hinter sich konnte er Hanken rastlos hin- und hergehen hören. Ein paar Zeitschriften wurden raschelnd aufgenommen und fielen klatschend auf einen Tisch. Lynley mußte
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