Undank Ist Der Väter Lohn.
ermordet worden ist!«
Barbara Havers verbrachte den Nachmittag in Greenford, nachdem sie beschlossen hatte, den Rest des Tages für einen Besuch bei ihrer Mutter zu verwenden, die seit zehn Monaten dort in einem kleinen privaten Pflegeheim mit dem prätentiösen Namen Hawthorn Lodge lebte. Barbara war es wie den meisten Leuten ergangen, die in einer schwierigen Situation die Unterstützung anderer suchen; sie hatte feststellen müssen, daß es seinen Preis hatte, unter Lynleys Freunden und Angehörigen um Fürsprache zu buhlen. Und da sie für diesen Nachmittag genug vom Bezahlen hatte, suchte sie Ablenkung.
Ihre Mutter, die schon seit langem nicht mehr in der Realität lebte, oder wenn überhaupt, dann nur sporadisch, war mehr als geübt darin, Fluchtwege daraus zu finden. Barbara fand sie im Garten von Hawthorn Lodge, wo sie damit beschäftigt war, ein Puzzle zusammenzusetzen. Der Deckel der Puzzleschachtel lehnte aufrecht an einem alten, mit gefärbtem Sand gefüllten Mayonnaiseglas, in dem ein Sträußchen Plastiknelken steckte. Die Abbildung auf dem Deckel zeigte einen kitschig gezeichneten Prinzen – prachtvoll gebaut und hingebungsvoll schmachtend –, der soeben einen hochhackigen gläsernen Pantoffel auf den schlanken und merkwürdig zehenlosen Fuß Cinderellas schob, während die beiden häßlichen Stiefschwestern, die nun ihre wohlverdiente Strafe bekamen, mißgünstig dabei zusahen.
Mit der behutsamen Hilfe ihrer Betreuerin, Mrs. Flo – wie Florence Magentry von ihren drei alten Schützlingen und deren Familien genannt wurde – war es Mrs. Havers gelungen, einen Teil des Puzzles richtig zusammenzusetzen. Cinderella erstrahlte bereits in voller Schönheit, die Stiefschwestern bestanden noch aus Bruchstücken, vom Prinzen waren immerhin schon der männlich kraftvolle Körper und die Hand, die den Schuh hielt, zu erkennen. Doch als Barbara zu ihrer Mutter trat, versuchte diese gerade, mit aller Gewalt das Gesicht des Prinzen auf die Schultern einer der Stiefschwestern zu drücken, und als Mrs. Flo ihre Hand sanft zur richtigen Stelle führte, rief sie erregt: »Nein, nein, nein!« und stieß das ganze Puzzle von sich weg. Das Mayonnaiseglas fiel um, Plastiknelken und Sand ergossen sich über den Tisch.
Barbaras Erscheinen machte die Sache nicht besser. Ob ihre Mutter sie bei den Besuchen erkannte oder nicht, war stets Glücksache, und an diesem Tag brachte ihr verwirrter Geist Barbaras Gesicht mit einer gewissen Libby O’Rourke in Verbindung, die in Mrs. Havers’ Jugend offenbar die Schulcirce gewesen war. Sie schien sämtliche Jungen um den Finger gewickelt zu haben, und einer von denen, die sie geküßt hatte, war anscheinend Doris Havers’ großer Schwarm gewesen. Eine Gemeinheit, die Doris Havers selbst heute noch so in Rage brachte, daß sie mit Puzzleteilen um sich warf, lauthals die wüstesten Schimpfworte schrie, von denen Barbara nie geglaubt hätte, daß ihre Mutter sie überhaupt kannte, und schließlich zu einem schluchzenden Häufchen Elend zusammensank. Es war nicht ganz einfach, die Situation in den Griff zu bekommen: sie zu überreden, den Garten zu verlassen, sie sachte, aber bestimmt die Treppe hinauf in ihr Zimmer zu führen und sie mit viel gutem Zureden dazu zu bringen, in einem Familienalbum zu blättern, damit sie sehen konnte, daß Barbaras rundes Mondgesicht viel zu oft auf den Seiten erschien, um das der verhaßten Libby sein zu können.
»Aber ich hab doch gar kein kleines Mädchen«, protestierte Doris Havers eher erschrocken als verwirrt, als sie zugeben mußte, daß sie nach dem, was Libby O’Rourke ihr angetan hatte, das Familienalbum bestimmt nicht mit Bildern von ihr vollgepflastert hätte. »Mama erlaubt mir keine Babys, Ich darf nur Puppen haben.«
Drauf wußte Barbara beim besten Willen keine Antwort. Der Geist ihrer Mutter folgte häufig so sprunghaft den gewundenen Pfaden in die tiefste Vergangenheit, daß Barbara sich ihre Unfähigkeit, auf Dauer damit umzugehen, schon lange verziehen hatte. Daher unternahm sie, nachdem sie das Album zur Seite gelegt hatte, keine weiteren Versuche, zu argumentieren, zu appellieren oder zu überzeugen. Sie begnügte sich damit, eine der Reisezeitschriften herauszusuchen, in denen ihre Mutter so gern blätterte, und sah sich, neben der Frau sitzend, die vergessen hatte, daß sie je ein Kind geboren hatte, anderthalb Stunden lang Bilder von Thailand, Australien und Griechenland an.
Irgendwann kam der Moment, als ihr Gewissen
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