Undank Ist Der Väter Lohn.
ihren Widerstand schließlich besiegte und die innere Stimme, die den ganzen Tag lang Lynleys Verhalten geschmäht hatte, von einer anderen übertönt wurde, die ihr entgegenhielt, daß vielleicht auch ihr eigenes Verhalten nicht ganz tadellos gewesen sei. Es folgte ein erbitterter Streit, der sich in ihrem Kopf abspielte. Die eine Seite beharrte darauf, daß Inspector Lynley ein rachsüchtiger und selbstgefälliger Pedant sei. Die andere argumentierte, daß er – ob Pedant oder nicht – ihre Treulosigkeit nicht verdiene. Und sie war ja wirklich treulos gewesen. Schnurstracks nach Chelsea zu fahren, um ihn bei den Menschen, die ihm am nächsten standen, anzuschwärzen, entsprach ganz sicher nicht dem Verhalten einer zuverlässigen Freundin. Aber er war ja auch illoyal gewesen. Er hatte sich angemaßt, ihre Bestrafung noch zu verschärfen, indem er ihre Mitarbeit abgelehnt hatte. Womit er deutlich gezeigt hatte, auf wessen Seite er in diesem Kampf stand, bei dem es für sie darum ging, ihre berufliche Haut zu retten. Seine Begründung, es sei besser für sie, sich eine Weile im Hintergrund zu halten, war doch nichts als Gerede gewesen.
So tobte der Streit in ihrem Innern. Er begann, während sie über die Reisezeitschriften gebeugt saß und halblaute Kommentare zu den imaginären Ferienreisen gab, die ihre Mutter nach Kreta, Mykonos, Bangkok und Perth gemacht haben wollte. Und er tobte unvermindert weiter, als sie am Ende des Tages von Greenford nach London zurückfuhr. Noch nicht einmal eine alte Fleetwood-Mac-Kassette, die sie mit voller Lautstärke abspielte, konnte die streitenden Parteien in ihrem Kopf zum Schweigen bringen. Die ganze Fahrt über wurde Stevie Nicks’ Gesang vom Mezzosopran ihres Gewissens begleitet, einem besserwisserischen Rezitativ, das sich einfach nicht abschalten ließ.
Er hat es verdient, er hat es verdient, er hat es verdient! schrie sie der Stimme stumm entgegen.
Und was hat es dir gebracht, daß du ihm gegeben hast, was er verdient, Herzchen? entgegnete ihr Gewissen.
Sie weigerte sich noch immer, diese Frage zu beantworten, als sie in die Steeles Road einbog und den Mini in eine Parklücke manövrierte, die netterweise gerade von einer Frau, drei Kindern, zwei Hunden und einem Cello, das Beine zu haben schien, freigemacht wurde. Sie schloß den Wagen ab und trottete in Richtung Eton Villas, froh, daß sie müde war, denn Müdigkeit bedeutete Schlaf und Schlaf Schweigen.
Doch als sie um die Ecke bog und sich dem gelben edwardianischen Haus näherte, hinter dem ihr eigenes kleines Mauseloch wartete, hörte sie andere Stimmen. Sie schallten von der Terrasse vor der Erdgeschoßwohnung herüber. Und eine der Stimmen – die einem Kind gehörte – jubelte auf, als Barbara durch das Gartentor mit den leuchtendorangerot gestrichenen Zaunlatten kam.
»Barbara! Hallo, hallo! Dad und ich machen Seifenblasen. Guck mal! Im Licht sehen sie genau aus wie runde Regenbogen. Hast du das schon mal gesehen, Barbara? Komm, schau. Komm schnell!«
Das kleine Mädchen und ihr Vater saßen auf der Holzbank vor ihrer Wohnung, sie im rasch schwindenden Licht, er in den dichter werdenden Schatten, wo seine Zigarette wie ein roter Leuchtkäfer glühte. Er tätschelte liebevoll den Kopf seiner Tochter und stand auf, höflich und ein wenig förmlich, wie das seine Art war.
»Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?« fragte Taymullah Azhar.
»Ach ja, bleib doch hier! Nach den Seifenblasen sehen wir uns ein Video an. Die kleine Meerjungfrau. Und es gibt glasierte Äpfel. Wir haben nur zwei, aber ich teil meinen mit dir. Ein ganzer ist mir sowieso zuviel.« Sie hüpfte von der Bank und rannte mit ihrem Seifenblasenstäbchen, aus dem sie eine ganze Wolke runder Regenbogen blies, über den Rasen, um Barbara zu begrüßen.
»Die kleine Meerjungfrau sagst du?« fragte Barbara nachdenklich. »Ich weiß nicht, Hadiyyah. Ich hab’s eigentlich nicht so mit Disney und diesen gertenschlanken Girlies, die von Rittern in schimmernder Rüstung gerettet werden –«
»Aber dies ist doch eine Meerjungfrau!« unterbrach Hadiyyah sie belehrend.
»Natürlich, daher der Titel. Du hast recht.«
»Sie kann also gar nicht von einem Ritter mit einer Rüstung gerettet werden, weil der nämlich sofort untergehen würde. Außerdem wird sie überhaupt nicht gerettet. Sie rettet den Prinzen.«
»Hey, das ist mal eine Variante, mit der ich leben könnte.«
»Du hast den Film noch nie gesehen, stimmt’s? Na bitte, heut abend kannst
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