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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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antwortete sie. »Es hat sich heute alles geklärt.« Und sie zog tief an ihrer Zigarette, so daß sie sich abwenden mußte, um ihm den Rauch nicht ins Gesicht zu blasen und ihren Ausdruck verbergen zu können.
    »Und? Aber was frage ich. Ihre Kleidung sagt ja alles. Es ist also gut verlaufen.«
    »Richtig«, bestätigte sie mit einem falschen Lächeln. »Alles in Butter. Ich bin immer noch beim Yard, immer noch bei der Kripo, und komme in den vollen Genuß meiner Rente.« Sie hatte das Vertrauen des einzigen Menschen verloren, der beim Yard für sie zählte, aber das sagte sie nicht. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, daß sie es jemals sagen würde.
    »Das ist gut«, meinte Azhar.
    »Ja, wirklich.«
    »Ich bin froh, daß die Ereignisse in Essex hier in London keine negativen Folgen für Sie hatten.« Wieder dieser ruhige, unverwandte Blick, samtig dunkle Augen in einem Gesicht mit nußbrauner Haut, die in Anbetracht seiner fünfunddreißig Jahre erstaunlich faltenlos war.
    »Ja, darüber bin ich auch froh«, sagte sie. »Es ist alles bestens gelaufen.«
    Er nickte, und sein Blick schweifte endlich von ihr fort zu dem verblassenden Himmel hinauf. Die Lichter Londons würden alle bis auf die hellsten Sterne der kommenden Nacht in ihrem Glanz ertränken. Und selbst diese würden eine dichte Hülle aus Schmutz und Dunst durchdringen müssen, die nicht einmal die herabsinkende Dunkelheit auflösen konnte.
    »Als Kind habe ich die Nacht immer am tröstlichsten gefunden«, sagte er sinnend. »Damals, in Pakistan, hat unsere Familie die Nächte so verbracht, wie es Tradition war: Die Männer schliefen gemeinsam in einem Raum, und die Frauen schliefen gemeinsam in einem anderen. Deshalb fühlte ich mich nachts, umgeben von meinem Vater, meinen Brüdern und meinen Onkeln, immer absolut sicher und geborgen. Aber dieses Gefühl habe ich verloren, als ich in England erwachsen wurde. Was mir einst Beruhigung gewesen war, wurde zu einer Peinlichkeit aus der Vergangenheit. Ich stellte fest, daß mir nichts weiter in Erinnerung geblieben war als das Schnarchen meines Vaters und meiner Onkel und der Geruch der Winde meiner Brüder. Eine ganze Zeitlang dachte ich immer dann, wenn ich allein war, wie herrlich es sei, ihnen entronnen zu sein, die Nacht für mich zu haben und selbst entscheiden zu können, mit wem ich sie teilen wollte. Und so habe ich eine Weile gelebt. Aber jetzt merke ich, daß ich mit Freuden zu dieser alten Lebensart zurückkehren würde, wo man stets das Gefühl hatte – zumindest bei Nacht –, die Geheimnisse oder Bürden, die einen drückten, nicht allein tragen zu müssen.«
    Seine Worte hatten etwas so Tröstendes, daß Barbara der darin enthaltenen Aufforderung, sich ihm anzuvertrauen, am liebsten sofort nachgekommen wäre. Aber sie tat es nicht, sondern sagte nur: »Vielleicht bereitet Pakistan seine Kinder nicht auf die Realität des Lebens vor.«
»Und was für eine Realität soll das sein?« »Die, die uns sagt, daß jeder allein ist.« »Glauben Sie, daß das wahr ist, Barbara?«
    »Ich glaube es nicht. Ich weiß es. Wir nutzen den Tag, um der Nacht zu entfliehen. Wir arbeiten, wir spielen, wir sorgen dafür, daß wir immer beschäftigt sind. Aber wenn es Zeit ist zu schlafen, gehen uns die Ablenkungen aus. Selbst wenn wir mit einem anderen Menschen im Bett liegen, reicht es schon, wenn der andere schlafen kann und wir nicht, um uns wieder einmal deutlich bewußt zu machen, daß wir einzig auf uns selbst gestellt sind.«
    »Ist das Philosophie oder spricht da die Erfahrung?« »Weder noch«, sagte sie. »Es ist einfach so.«
»Aber es muß nicht so sein«, entgegnete er.
    Bei diesem Einwand schrillten Alarmglocken in Barbaras Kopf, die jedoch schnell wieder verstummten. Von jedem anderen Mann hätte man die Bemerkung als Annäherungsversuch auffassen können. Aber Barbara wußte schon lange aus bitterer Erfahrung, daß sie nicht der Typ Frau war, der Männer reizte. Und selbst wenn sie jemals im Leben ihre verführerischen Momente gehabt hatte, so war dies mit Sicherheit keiner davon. In ihrem zerknitterten Leinenkostüm, in dem sie aussah wie eine verkleidete Kröte, konnte sie wohl kaum jemanden locken. Darum sagte sie, redegewandt wie immer, wenn es darauf ankam: »Tja. Hm. Kann schon sein«, ließ ihre Zigarette zu Boden fallen und trat sie aus. »Also dann, gute Nacht«, fügte sie hinzu. »Viel Spaß mit der Meerjungfrau. Und danke für den Glimmstengel. Den hab ich gebraucht ...«
    »Jeder

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