Undank Ist Der Väter Lohn.
ihr: »Vielen Dank. Ich bin hier jetzt fast fertig. Du warst eine Riesenhilfe, aber jetzt schaff ich’s schon allein.«
Es war offensichtlich, daß er sie wegschickte. Sie schien ihm allein mit Blicken etwas sagen zu wollen, aber er reagierte nicht darauf. Was immer es war, er konnte die Botschaft entweder nicht empfangen, oder er wollte nicht. Mit einem letzten unfreundlichen Blick auf Lynley und Hanken ging sie hinaus. Das Hundegebell draußen wurde gellend laut und gleich darauf wieder gedämpft, als sie die Tür öffnete und hinter sich schloß.
»Sie meinte es gut«, erklärte Julian, als Samantha fort war. »Ich weiß gar nicht, was ich ohne sie anfangen würde. Ich möchte unbedingt das Haus und den Besitz wieder in Schuß bringen, aber das ist ein Wahnsinnsunternehmen. Manchmal frage ich mich, warum ich das überhaupt auf mich genommen habe.«
»Und warum haben Sie es getan?« fragte Lynley.
»Die Brittons leben seit Jahrhunderten hier. Mein Traum ist es, den Besitz noch für ein paar weitere Jahrhunderte zu erhalten.«
»Und zu diesem Traum gehörte auch Nicola Maiden?«
»Für mich, ja. Aber nicht für sie. Sie hatte ihre eigenen Träume. Oder Pläne. Oder was immer es war. Aber das ist ja wohl offensichtlich.«
»Hat sie Ihnen von ihren Plänen erzählt?«
»Sie hat mir nur gesagt, daß mein Traum ihr nichts bedeutet. Sie wußte, daß ich ihr das, was sie wollte, nicht bieten konnte. Jedenfalls nicht im Augenblick. Wahrscheinlich hätte ich es ihr nie bieten können. Sie hielt es für besser, unsere Beziehung so zu lassen, wie sie war.«
»Und wie war sie?«
»Wir waren miteinander intim, falls Sie das meinen sollten.«
»Im normalen Sinn?« erkundigte sich Hanken.
»Was soll denn das heißen?«
»Die junge Frau war am ganzen Körper rasiert. Das läßt doch auf gewissen sexuelle Absonderlichkeiten schließen.«
Julian wurde brennend rot. »Mein Gott, sie hatte eben ihre Marotten. Sie hat sich die Körperhaare mit Wachs entfernt. Sie hat sich auch Piercings machen lassen. An der Zunge, am Nabel, an der Brust und an der Nase. So war sie eben.«
Wohl kaum die Art Frau, die einen verarmten Landjunker mit runtergewirtschaftetem Gut heiraten würde, dachte Lynley. Er fragte sich, wie Julian Britton überhaupt auf die Idee gekommen war, ihr einen Antrag zu machen.
Britton schien die Richtung seiner Gedanken zu ahnen. Er sagte: »Es hat wirklich überhaupt nichts zu bedeuten. Sie war einfach sie selbst. Die Frauen von heute sind nun mal so. Zumindest die Frauen ihres Alters. Sie kommen doch aus London, da wissen Sie das doch sicher.«
Es war schon richtig, daß man auf den Straßen Londons so ziemlich alles sehen konnte. Nur ein engstirniger Moralapostel würde sich ein Urteil über eine Frau unter dreißig – oder auch darüber – einzig aufgrund der Tatsache bilden, daß sie sich das Schamhaare mit Wachs entfernte und sich Löcher in ihren Körper stechen ließ. Und trotzdem machte die Art, wie Julian Britton sich ereifert hatte, Lynley neugierig. Soviel Emphase forderte zum Nachhaken heraus.
»Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.« Mit dieser Bemerkung schlug Julian Britton das Buch auf, das seine Cousine ihm gebracht hatte. Er schlug es an einer Stelle hinter einem blauen Registerblatt auf und blätterte mehrere Seiten um, bis er fand, was er suchte. Dann drehte er das Buch herum, so daß Lynley und Hanken darin lesen konnte. Auf dem Kopf der Seite stand in Blockschrift Cass. Unter dem Namen waren die Geburtszeiten der Welpen eingetragen sowie die Dauer jedes einzelnen Geburtsvorgangs.
Sie dankten ihm für seine Auskünfte und überließen ihn seiner Arbeit mit den Hunden. Lynley sprach als erster, als sie draußen waren.
»Die Zeiten waren mit Bleistift geschrieben, Peter.«
»Das ist mir auch aufgefallen.« Hanken wies mit einer Kopfbewegung auf das Herrenhaus. »Ein interessantes Team, nicht wahr? Julie und seine Cousine.«
Lynley pflichtete ihm bei. Er fragte sich nur, was für ein Spiel dieses Team spielte.
8
Barbara Havers war froh, den engen Mauern von New Scotland Yard entkommen zu können. Nachdem Winston Nkata sie gebeten hatte, sich Terry Coles Wohnung und Atelier in Battersea vorzunehmen, setzte sie sich unverzüglich in ihren kleinen Wagen. Auf dem kürzestmöglichen Weg fuhr sie zur Themse hinunter und das Embankment hinauf bis zur Albert Bridge. Auf dem anderen Themseufer angekommen, holte sie ihren zerfledderten alten Stadtplan heraus und suchte die Straße,
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