Undead 09 - Zum Teufel mit Vampiren
diese dämlichen Zeitreisen mitzunehmen.
»Das wäre grausam. Das könnte ich nie.«
»Aber du willst ihn doch gerade verlassen, oder nicht? Ihn mit seiner Trauer allein lassen?«, redete ich auf Tina ein. »Du hast doch gesehen, wie er drauf ist. Noch vor dem Wochenende wird er sich eine Pistole in den Mund stecken.«
Tina zuckte zusammen. Im Gegensatz zu Laura und mir war sie modisch auf der Höhe ihrer Zeit. Die weiten Röcke von Salem gab es zum Glück nicht mehr. Tina trug einen knöchellangen Bleistiftrock, der an den Knien so eng saß, dass sie sich fast nur hüpfend fortbewegen konnte. Ihr Oberteil, eine lange Tunika, passte zum Bleistift-Look (ich nahm an, dass sie den Bleistift-Look anstrebte): Jedenfalls sah die ganze Frau wie ein (Bleistift!-)Strich aus, nur das tiefe Kirschrot der Tunika und das weiß-rote Muster des Rockes ließen sie ein wenig fülliger wirken. Eine blonde Riesin wie ich hätte in diesem Ensemble wie ein Kirschbaum ausgesehen. Zierliche Frauen können eben alles tragen.
Ihr Haar, ihre üppigen blonden Wellen, war sorgfältig hochgesteckt. Ihre dunklen Augen blickten wachsam und voller Schmerz. Natürlich war auch alles furchtbar traurig … aber die Schuhe! Tina trug die bezauberndsten roten Schuhe im Flapper-Style! Stämmige Absätze und zierliche Knöchelriemchen rundeten ihr Outfit ab, in dem sie einen absolut hübschen, stylischen Anblick bot.
Die Schuhe halfen mir jedoch kaum weiter … ihr übriges Outfit entsprach nämlich nicht dem wilden Flapper-Style, aber sie trug nun einmal diese Schuhe. Deshalb durfte ich getrost annehmen, dass wir ungefähr das Jahr 1920 schrieben. Andererseits befanden wir uns in Hastings, Minnesota, nicht gerade ein Vorreiter in Sachen Mode. Also konnte es genauso gut 1910, aber auch 1935 sein. Es war nicht festzustellen.
»… müssen ihn beißen! Sag es ihr, Betsy.«
»Wie? Oh, yep. Du musst ihn auf jeden Fall beißen. Beiß ihn und beiß ihn und dann beiß ihn noch einmal. Wahrscheinlich will er den Mörder fangen.«
»Oh nein, ich werde den Mörder fangen«, sagte Tina. Eine Sekunde lang sah sie überhaupt nicht hübsch und nett aus, sondern verschaffte mir eine Gänsehaut, und das nicht nur, weil ich einen Badeanzug trug (oder so was in der Art). Das Aussehen kann gewaltig täuschen – wer sollte das besser wissen als eine ehemalige Miss Liebenswürdigkeit?
Tief in ihrem Innern war Tina eine Jägerin – und eine wunderschöne Frau, die ihr Leben auf die Reihe bekam, während die Männer annahmen, dass sie blöd, unfähig oder beides war. Ihre Tarnung war perfekt.
Vermutlich sollte ich auch stets daran denken, wie es um meine Tarnung bestellt war.
»Hör mal, du brauchst doch bloß ein bisschen an ihm rumzukauen, und wenn er wieder aufersteht, dann wirst du seine treue Handlangerin, sein Mädchen für alles, so was wie eine Supersekretärin, aber viel cooler, und dann bist du genau in der richtigen Position, um … um … um was zu tun, Laura?«
»Wirst du wohl aufhören, Dinge daherzuplappern, die du unmöglich vorher wissen kannst?«
»Wie soll ich es sonst anstellen, sie meinem Willen zu unterwerfen?«
»Warten Sie eine Sekunde«, schaltete sich Tina ein. »Sobald er wieder aufersteht – wie es scheint, verstehen Sie etwas von Vampiren – , wird er jahrelang ein hirnloses Tier sein, getrieben allein von Hunger und Elend. Warum sollte ich die Assistentin eines Tieres werden wollen?«
»Weil ermmmmmmmfffff!« Ich schnappte nach Lauras Fingern wie eine rasende Bulldogge. »Fass mich nicht an und steck mir nicht die Finger in den Mund! Hör zu, Tina, ich weiß das alles, weil du es bereits getan hast. Ich weiß … ich weiß, was du … « War es möglich, dass ich gerade ein Zeitparadoxon erschuf? Ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht so war … aber es war ja nicht nur meine Zukunft, die ich möglicherweise verhunzte. Es war auch Sinclairs Zukunft. »Ich weiß auf jeden Fall … «
»Ihren vollständigen Namen!«, soufflierte Laura. »Wir sind uns noch nie begegnet, stimmt’s? Wie kommt es dann, dass diese Spinnerin Ihren vollen Namen kennt?«
»Und der wäre?« Tina sah mich gespannt an.
Ich war so wütend auf Laura, dass ich sie wie durch einen roten Nebel sah. »Großartig, danke!«, zischte ich. »Natürlich kenne ich ihren vollen Namen nicht! Ich bin froh, wenn ich mich daran erinnern kann, dass sie Tina heißt!«
»Und?«, fragte Tina unbeeindruckt.
»Versuch es«, redete Laura mir zu. »Denk nach. Bring deine
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