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Underground

Titel: Underground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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bringt, wenn du dein Volk verlässt? Unwissen, nichts als Unwissen!« Sie richtete ihren Blick wieder auf mich, während Fish rot anlief und den Kopf senkte.
    »Im Inneren von Qamaits’ Haus befindet sich die Treppe in den Himmel – dorthin, wo die Götter leben. Man kann durch ein Loch in den Himmel klettern, so wie die Schwestern, die Sterne geheiratet haben. Aber dadurch gelangt man nicht zu den Göttern. Wenn man mit den Göttern im Himmel sprechen will, muss man die Treppe hinauf, vorbei an Qamaits und ihrem Beschützer Sisiutl. Erfreut man die Götter, belohnen sie einen mit reicher Beute und Sisiutls Hilfe. Verärgerst du sie aber, verschwendest ihre Geschenke oder vergisst, ihren Helfer zu füttern, werden die Götter zornig und gestatten Sisiutl, dich zu verschlingen.«
    »Gibt es mehr als einen Sisiutl?«, wollte ich wissen.
    Sie warf mir einen abfälligen Blick zu. »Nein! Er ist der Einzige. Er ist Sisiutl.«
    Für einen Moment zögerte ich, ob ich die nächste Frage stellen sollte, da sie mir selbst ein wenig verrückt vorkam. Doch auch dreiköpfige Seeschlangen, die Menschen fraßen und sich in Kanus verwandeln konnten, klangen nicht sonderlich normal. Also wagte ich es. »Was würde geschehen, wenn sich … wenn Sisiutl den Tümpel verlassen würde?«
    »Dann frisst er. So wie er nach dem Erdbeben gefressen hat.«
    »Nach welchem Erdbeben?«

    »Dem Erdbeben nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe mir damals große Sorgen um meine Söhne gemacht, doch sie sind alle gesund nach Hause zurückgekehrt. Dann brachte Sisiutl die Erde zum Beben und fraß die Menschen, die er fand. Es war schrecklich. Sie hatten den Krieg in Europa überlebt, nur um zu Hause gefressen zu werden. Damals gab es das Kasino, die Häuser und die Läden hier noch nicht. Viele verließen das Reservat, um woanders zu arbeiten. Als Sisiutl kam, war unser Volk das einzige, das wusste, dass er es war. Es war schwierig, Qamaits zu finden und sie dazu zu bringen, Sisiutl wieder in den Tümpel zurückzuholen. Wenn Sisiutl Menschen gejagt hätte, wären die Götter wütend geworden, doch er hatte nach seinem langen Schlaf nur Hunger. In jenen Tagen fielen keine Jäger Sisiutl zum Opfer. Nur Qamaits war in der Lage, ihn wieder in den Tümpel vor ihrem Haus zurückzulocken.«
    »Wo war Sisiutls Tümpel? Wohin haben ihn Ihre Leute geschickt?«
    »Damals war er auf der Müllhalde. Dort gibt es jetzt kein Wasser mehr. Um gegen Sisiutl zu kämpfen, muss man für ihn einen anderen Tümpel finden oder ihn zu den Göttern zurückschicken.«
    Ich sah sie verblüfft an. »Warum sollte ich gegen Sisiutl kämpfen wollen?«
    Ella Graham spuckte in einem hohen Bogen ins Feuer und begann dann, sich von ihrem Kissen zu erheben. Fish sprang auf, um ihr auf die Beine zu helfen. Sie stützte sich auf ihren Stock und starrte uns finster an. Dann drängte sie Fish beiseite und humpelte zu dem Kaminsims aus unbearbeitetem Stein, der sich über dem östlichen Kaminfeuer befand. Ihre weißen Zöpfe zog sie hinter sich über den Boden, während sich ihre lose Haut wie Pflanzen im Wasser
bewegte. Sie nahm etwas vom Kaminsims und kehrte dann zu uns zurück. Fish half ihr, sich wieder niederzulassen.
    »Hol mir noch ein anderes Kissen, Reuben«, befahl sie, woraufhin ihr Fish das seine gab. Sie legte sich seitlich hin und stützte sich mit einem Arm ab. Ihr Gesicht wirkte auf einmal wächsern, so als ob sie Schmerzen hätte. Plötzlich reichte sie mir eine lange, braungoldene Feder. »Nimm das, Fasanenfrau. Die wirst du brauchen, um die Knoten der toten Dinge zu lösen.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und warf Fish einen verwirrten Blick zu. Er schüttelte hastig den Kopf und sah mich aus geweiteten Augen an.
    »Wieso sollte ich …«
    Grandma Ella ließ ein hässliches Lachen hören, das mir die Haare im Nacken aufstellte. »Du bist wie Fasan. Fasans Tochter starb, aber er liebte sie so sehr, dass er ins Land der Toten ging, um sie zurückzubringen. Mit offenen Augen konnte er die Toten nicht sehen, sondern nur wenn er sie schloss. Aber er konnte seine Augen nicht immer geschlossen halten, und so trat er auf die Toten und verärgerte sie. Sie versuchten ihn fortzuschicken, aber Fasan wollte seine Tochter nicht alleine lassen. Er wollte bleiben, doch das Land der Toten ist nichts für die Lebenden. Deshalb starb eines seiner Augen, und Fasan konnte die Toten durch das eine Auge sehen und die Lebenden durch das andere. So wie du. Nimm das«, wiederholte sie und

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