Underground
neuer Gedanke, der mich derart ablenkte, dass Quinton mir einen Stoß mit dem Ellenbogen geben musste, um mich daran zu erinnern, dass wir ins Haus wollten. Ich sperrte die Tür hinter mir wieder zu, und wir gingen nach oben ins Büro.
Auch hier war es recht kühl. Doch da das Zimmer nicht groß war, wärmte es sich rasch auf. Ich stellte den Kaffee auf den Schreibtisch und setzte mich auf meinen Stuhl,
während Quinton es sich in dem gemütlicheren der beiden Kundensessel bequem machte. Er lehnte sich zurück und umfasste mit beiden Händen den dampfenden Becher. Irgendwie wirkte er müde. Die Aura um ihn herum strahlte nur noch schwach blau. Einen Moment lang betrachtete ich ihn und überlegte mir, was wohl in ihm vorging.
Er erwiderte meinen Blick aus ausdruckslosen Augen und sagte nichts. Quinton hatte die Gabe, lange schweigen zu können.
Also gut – dann brachte ich es wohl besser hinter mich. »Bist du ein Werwolf, Quinton?«
Er lachte ungläubig und runzelte die Stirn. »Nein! Werwölfe gibt es nicht. Wie kommst du denn auf die abstruse Idee?«
Ich begann an meinen Fingern aufzuzählen. »Es gibt Vampire, Gespenster, Monster im Untergrund … Warum sollte es dann keine Werwölfe geben? Dann die Animositäten zwischen dir und Edward, der dich als einsamen Wolf bezeichnet und mich davor warnt, dir über den Weg zu trauen. Was soll das alles bedeuten?«
Er nippte an seinem Kaffee, blieb aber sonst regungslos sitzen. »Du hast offensichtlich zu viele schlechte Horrorromane gelesen. Oder du hast bei irgendwelchen dämlichen Rollenspielen mitgemacht, wenn du glaubst, dass es eine traditionelle Animosität zwischen Vampiren und Werwölfen gibt. Das ist doch reine Fantasie. Werwölfe gibt es nicht.«
»Das sagst du. Aber vor einem Jahr hätte ich auch noch Stein und Bein geschworen, dass sowohl Geister als auch Vampire reine Hirngespinste sind. Kannst du deine Behauptung auch beweisen?«
»Ja – es ist ganz einfach logisch. Ich habe niemals irgendwelche
Beweise für eine real existierende Lykanthropie gefunden. Bei Vampiren oder magischen Wesen ist das etwas anderes. Aber bei Werwölfen? Nein, die gibt es nicht. Jedenfalls glaube ich das nicht. Ich habe noch nie einen gesehen. Vielleicht ist mir auch bisher einfach nur noch keiner über den Weg gelaufen. Aber ich nehme wirklich nicht an, dass sie existieren.«
Ich griff nach meinem Kaffee. »Also gut. Dann klär mich mal auf.«
»Einverstanden. Alles, was ich bisher erlebt habe, zeigt mir, dass Magie die Gesetze der Physik respektiert. Es mag zwar eine seltsame Art von Physik sein, aber es ist trotzdem Physik. Um zum Beispiel seine Gestalt innerhalb von weniger als zwei Tagen zu verwandeln, müsste man in der Lage sein, die Schwerkraft zu überwinden, den Energiefluss zu durchbrechen und die Gesetze der Thermodynamik auszuhebeln. Wenn das reicht! Falls es eine solche Verwandlung überhaupt geben sollte, dann ist es eine Illusion, aber keine reale Veränderung der äu ßeren Gestalt – es sei denn, sie würde sehr langsam vor sich gehen. Wenn sich jemand von einem Menschen in einen Wolf verwandeln würde, müsste er oder sie innerhalb kürzester Zeit sehr viele körperliche Veränderungen durchlaufen. Er müsste an Masse zunehmen oder sie verlieren und eine unglaubliche Menge an Energie dafür aufwenden. Für so etwas gibt es einfach nicht genügend Elastizität im bestehenden Energiesystem. Derjenige würde vermutlich durch den energetischen Aufwand alleine in Flammen aufgehen.
Bisher bin ich noch nie in Flammen aufgegangen, soweit ich weiß. Außerdem bist du schon ziemlich häufig mit mir abends weg gewesen, auch bei Vollmond. Und haarige
Handflächen habe ich auch nicht. Ich bin also kein Werwolf – quod erat demonstrandum.«
Er nahm einen weiteren Schluck Kaffee und sah mich wieder ausdruckslos an.
Ich musste über die geradezu absurd anmutende Logik lachen – und über Quintons Miene. In seinen Augen funkelte eine gewisse Belustigung, die mir das Gefühl gab, mich zum Idioten gemacht zu haben. Doch seltsamerweise machte mir das in diesem Fall nichts aus. In gewisser Weise fand ich es sogar recht angenehm, so sanft aufgezogen zu werden – vor allem nach der emotionalen Achterbahn mit Will. Ich lächelte also ein wenig, als ich ihn fragte: »Aber warum nennt dich Edward dann einen einsamen Wolf?«
Quinton zuckte mit den Achseln. »Du bist doch diejenige, die seine Leute als Rudel bezeichnet. Damit ist er eigentlich der Leitwolf. Er hat mich
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